Diese Reise ist die erste große Tour seit vielen Jahren - eigentlich seit 1994*. Und weil die Reise außerdem ganz der Ukulele gewidmet sein soll, die sie mir indirekt erst ermöglicht, organisiere ich sie als besonderes Ereignis mit Ukulele-Treffen. Zum Event-Charakter inspiriert hatte mich die sogenannte "Ukulele Safari" eines australischen Ukulele-Duos, das auf seiner Weltreise im Jahr zuvor Ukulele-Spieler rings um die Welt besuchte - Ukulelestan lag dabei auch im Plan, dann aber doch nicht am Weg. Nun möchte ich etwas Ähnliches unternehmen, nur ein paar Nummern kleiner - eine Scandinavian Ukulele Safari...
25. Jun. Start in Ukulelestan
26. Jun. Stopp in der
Uckermark
27. Jun. Fähre Sassnitz nach
Trelleborg
28. Jun. Malmö - bis 30.6
01. Jul. Stockholm - bis 4.7.
05. Jul. Oslo - 6.7.
07. Jul. Kongsberg - Jazz Festival
11. Jul. Reksteren - 14.7.
15. Jul. Bergen - 16.7.
17. Jul. Trondheim - Tromsö
19. Jul. Mo I Rana - Narvik - Nordkap
27. Jul. Kemi / Oulu
28. Jul. Helsinki
29. Jul. Tallinn
01. Au. Riga
03. Au. Nida/ Kurische Nehrung
05. Au. Masuren
05.
Au. Warschau, Krakau
06. Au. Rückkehr nach Ukulestan
25. Juni: An der Elbe vor meinem Haus gibt es schon das erste Ukulele-Treffen, ein kleines Abschiedsbrimborium mit einigen meiner Schüler - als ginge es tatsächlich auf eine Weltreise. Auch andere Leute haben ihre Brimborien - für die beginnende Fußball-WM hat jemand einen besonderen Nerventöter erfunden: Vuvuzelas! Jemand aus der Nachbarschaft trötet darauf - natürlich nur für seine Kinder... Ein bisschen kindisch ist jeder, die Welt des Fußball aber sceint mir ein einziger Kindergarten zu sein - einer macht etwas vor, die anderen machen es nach.
Bei meinem Abschiedsbrimborium erhalte ich diverse Geschenke: Zigarettenetui, Bleistift, Kamm, Globuli - ob letzeres bei mir wirkt, wage ich zu bezweifeln. Der Kamm könnte an die kesse Auffassung einiger jungen Schülerinnen zurückgehen, die mir schriftlich attestierten, dass mein struppig werdendes Haar etwas "gekämmter" sein könnte. Den Bleistift nehme ich als Aufforderung zum Schreiben von Postkarten - oder eines Fahrtenbuches. Das Zigarettenetui interpretiere ich als Hinweis, die teuren Glimmstengel gut einzuteilen, in Skandinavien kann Alltägliches teurer werden.
An einer Raststätte am Berliner Ring treffe ich zufällig einstige Ukulele-Schüler aus meiner Nachbarschaft, das ist quasi ein zweites U-Treffen. Abends treffe ich bei
Freunden in Gellmersdorf (Uckermark) ein, das schönste Sommerwetter fährt mit.
26. Juni: In Funkenhagen am Mellensee besuche ich weitere Freunde aus meinen Berlin-Jahren.
27. Juni. Das Runde rollt ins Eckige: Drei Minuten
vor dem 4:1 zwischen Deutschland gegen England (WM) - kurz vor 17:45 Uhr, legt
die Fähre ab und unterbricht zum Verdruss der Fußballfreunde die
Direktübertragung für Routineasagen. Der Hafen von Sassnitz liegt weit hinter mir. Die Ostsee ist fast spiegelglatt. Der Himmel ist
blau, Auf dem Oberdeck ist nur ein laues Lüftchen zu spüren.
Einige Stunden später kommt die schwedische Küste in Sich - bald darauf der Hafen von Trelleborg. Von dort fahre ich nortwestwärts Richtung Malmö. Ich folge einem Schild "Kämpering", wie sich
dann herausstellt, ist es ein Ortsname - und kein Wegweiser zum
Campingplatz Ich finde aber bald ein Jedermannsrecht-Plätzchen
in der Bucht von Skanor (25 km südl. Malmö). Der Vollmond geht
auf, aber ganz dunkel wird es die ganze Nacht nicht.
Der Mond ist aufgegangen - und Mückenschwärme sagen... "Antibrumm" aus der Apotheke hält einige der Biester auf Distanz... Die schwedischen
Mücken werden ihrem bissigen Ruf gerecht - besonders am stehenden
Gewässer, Fischerboote ankern im See, Schwäne
leisten mir Gesellschaft.
28. Juni: Ich fahre durch Malmö und dann zur Kleinststadt Svedala, die von
Naturschutzgebieten, kleinen Schlössern und Klöstern umgegeben
ist. Hier bin mit Uwe und Benny vom Ukulele Orchester Schweden verabredet - und lerne ein neues Lied: Have a drink on me...
29. Juni: Ich fahre
zur Insel Öland, über eine mehrere Kilometer lange Brücke,
dann nordwärts. Alte Windmühlen säumen die Straßen.
Vor dem größten Ort der Insel liegt die
Ruine eines großen, mittelalterlichen Schlosses aus dem 12.
Jahrhundert - die Einfahrt zur Ruine ist ein Feldweg, eine Herde Kühe quert ihn gemächlich.
Die Ruine wirkt wie das Kolloseum in Rom auf mich - dabei kenn ich das noch gar nicht aus eigener Betrachtung. Vielleicht sollte ich bei der Heimfahrt einen kleinen "Abstecher" machen... Ich halte nach einem Zeltplatz Ausschau,
finde aber nur Ansammlungen von Wohnwagen, teils in der
Größe von Bussen.
Ich fahre weiter und lande im nördlichsten Zipfel der Insel mit einem Dörfchen, das auf den Namen Byxelkrock hört.
Non dort weiter zum "Langen Erich", einem alten Leuchtturm.
Ich finde schließlich ein geschütztes Fleckchen, wo
ich das Jedermannsrecht auf das Spielen der Ukulele ausdehne und
singe: I'm so lonesome I could cry" - Und ich lese etwas in Nietzsches "Der
Wanderer und sein Schatten". Die Schatten sind in der langen, sommerlichen Abendämmerung beeindruckend gestreckt.
30. Juni: Tanken kann
zum Problem werden - die meisten Tankstellen verweigern
Barzahlung. Meine
Sparkassenkarte wird nicht akzeptiert.
900 Kilometer ohne Tanken ist nahe am letzten Tropfen Diesel. Dann finde ich eine Tankstelle, wo ich bar zahlen kann. Künftig werd eich eher nach einer Tankstelle Ausschau halten!
Ich suche nach einem
Jedermannsplatz vor Stockholm. Da es noch früh am Abend ist, entscheide
ich mich doch, in die Hauptstadt zu fahren - ein folgenschwerer Entschluss. Nach bisher stressfreier Fahrt gelange ich 20 Km vor Stockholm in zwei
langes Staus, der erste wegen eines Unfalls, der zweite löst sich nach
10 km mitten in einer Baustelle
auf, ohne dass ein Grund ersichtlich wäre. Ich komme etwa 20 Uhr in
Stockholm an und versuche das alte Segelschiff zu finden, wo ich bereits
vor 15 Jahren einmal übernachtete. Es scheint jetzt ein Nobelcafe zu
sein. Deshalb spiele ich mit dem Gedanken, nach einer kurzen Stadtrundfahrt
wieder Richtung Küste zu starten. Dann entdecke ich in einem Gebäude
die Rezeption der Jugendherberge - und beziehe darin Quartier.
1. Juli: Nach einer Woche Sonnenschein bewölkt es sich etwas. Die sprachliche Verwandtschaft des Schwedischen mit dem Deutschen erkennt man auf vielen
Schildern - was "alla daga öppet" heißen könnte, ist verständlich. Aber lesen ist das eine, die Aussprache etwas anderes...
2. Juli: Aus irgendeinem
Grund macht meine Sony-Cam seit gestern Abend keine Fotos mehr. Wenigstens filmt sie noch - für die musikalischen Schnappschüsse ist das ohnehin die bessere Wahl. Ein schwedisches
Gitarre-Mandoline-Duo namens Umami spielt am Hafen von Stockholm.
Das musikalische Nachtleben
der schwedischen Hauptstadt ist vielseitig. Andrea, eine
ungarische Sängerin, singt an einer Straßenecke Zigeuner- und Wiegenlieder - a capella. In ihrer Pause plaudere ich etwas mit ihr - sie entschließt sich, Feierabend zu machen. Sie führt mich durch die Kneipen - macht mich mit auftretenden Musikern bekannt.
In der kleinen Kellerbar eines Pub spielt eine Blues-Band.
3. Juli: Bei
Vadstena, einer Kleinstadt mit mittelalterlichem Schloss und alten Kirchen, kampiere ich
im Borghams Vandrerhem - traumhafter Sonnenuntergang am Vätternsee, einem der beiden großen schwedischen Binnenseen.
4. Juli: Irgendwo auf halbem Weg nach Oslo werfe ich das Wurfzelt in die Landschaft. Ich vergaß, mir die Koordianten zu notieren - wahrscheinlich war es spät.
5. Juli: Möwen kreischen
in aller Frühe über meinem Zelt, ich versuche wieder einzuschlafen, doch die Vogelwelt
ist gnadenlos - gegen fünf breche ich nach Oslo auf. Die Landstraßen sind
leer, ich komme gegen 10 in der Stadt an, frage mich durch. Ich finde das am Stadtrand befindliche Haroldshem, eine sehr komfortable
Jugendherberge. Auf dem Weg in die City
nehme ich die Metro - ich muss mich durchfragen, aber drei Einheimische
weichen mir ängstlich aus, als hätten sie Angst vor mir. Dann erlebe ich das Gegenteil: Eine junge Frau erklärt mir freundlich den Weg und begleitet
mich sogar ein Stück.
Ich besuche die Akerhuset-Festung, der herrliche Ausblick
über den Hafen scheint ein beliebeter Treffpunkt für junge Pärchen zu sein. Auf einem Restaurantboot im Hafen erkunde ich die norwegischen Preise: ein Bier = 620 Kronen - ähnlich wie in Stockholm, etwa 8 Euro. Die Schachtel Zigaretten
780 Kr = 10 Euro... (Stand 2010). Dagegen ist Deutschland noch ein Entwicklungsland
Ich habe etwas Schlaf nachzuholen und verzichte auf das
Nachtleben, lerne in meinem Zimmer einen Holländer kennen, der hier Arbeit
sucht. Die Verdienstmöglichkeiten sind entsprechend den Preisen, umgerechnet etwa
3000 Euro sind der Durchschnitt für Hilfsarbeit, sagt der Mann aus Holland. Dafür lohnt sich die Anfahrt und der Aufwand - die Trennung von Frau und Kindern?
6. Juli: Norin, der Holländer (ursprünglich aus dem Kosovo), will ein Auto kaufen,
um damit auf Jobsuche zu gehen. Ich fahre ihn zu einer der Adressen, die er in einer Zeitungsannonce fand. Wir
verfahren uns in der Stadt und landen in einem schier endlos langen Tunnel
unter dem Oslo Fjord, wo es einen Stau gibt, sehr warm, sehr laut, sehr
beklemmend - was das Sprichwort "Licht am Ende des Tunnels" bedeutet, wurde mir bisher noch nicht so anschaulich wie hier.
Die Suche nach einem Auto für Norin ist erfolglos - der private Verkäufer wirkt unseriös.
Wir besuchen die Kon-Tiki-Ausstellung auf der großen Museumsinsel. Abends lerne ich noch einen Holländer kennen, der will
zu einem großen Oldtimertreffen, kennt sich aber auch bestens mit
Geschichte und Kultur der Lappen im Norden Skandinaviens aus. Wir sitzen
bis weit nach Mitternacht vor dem Hostel. Zwei weitere Zimmergenossen (Japan
und Malaisia) liegen in ihren Betten - einer schnarcht, der andere piepst
noch auf seinem iPhone. Ob nachts oder morgens, wann
immer man aufs Zimmer kommt, er liegt in seinem Bett und piepst vor sich hin... Gemeinschaftszimmer könnig nervig sein - und sind es meistens auch.
Ein alter Mann mit Weihnachtsmannbart bettelt in einer ruhigen Nebenstraße? Ein Tourist aus Laubegast knipst
alles, was ihm vor die Linse kommt. Ein Posaunist hat sich einen Platz vor einem Textilladen gesucht, in dessen Schaufenster bunte Unterwäsche für weibliche Kundschaft ausgestellt ist. Die Hauptstadt ist von afrikanisch und asiatisch aussehenden Zuwanderern geprägt. Die raditionellen Kleider einiger Frauen sind südosteuropäischer Herkunft.
7. Juli: Ich fahrt nach
Kongsberg - zum Jazz Festival. Das erste, was ich in der Kleinstadt entdecke,
ist ein Stand mit Ukulelen - und der Verkäufer spielt sie auch. Eine junge Frau mit Baby hat eine Ukuleletasche über der Schulter hängen - wahrscheinlich hat sie die gerade eben erstanden. Es spielen verschiedene Jazzbands, unter anderem eine einheimische Kinderband - lauter Jungszwischen 8 und etwa 11 Jahren jung. Abends, in einer urigen Gartenkneipe, spielt Louisiana
Red, eine Blueslegende (✝ 2012). Ich kenne den alten Mann aus Berlin, er sitzt auf einem Stuhl, singt und spielt auf seiner E-Gitarre
- so stark wie eh und je. Seine Band unterstützt ihn.
Nach der Show erhält der Blues-Mann aus den USA noch eine Lektion Blues vom Ukulele-Lehrer aus Laubegast... Louisian Red ist hin und her gerissen,
denn seine Frau ist der Boss - und für sie hat CDs verkaufen jetzt Vorrang.
9. Juli. Die E 134 führt durch die Provinz Telemark und durch den Hardangervidaa
Nasionalpark, ein See nach
dem anderen - und Wald, Wald Wald! Norwegian Woods... Dann geht es
bergan - die höchsten
Berge sind zwar nur 1200 Meter, aber das kühle Klima sorgt noch für Schnee auf den Gipfeln. Ein Wasserfall folgt dem anderen,
ein paar Kilometer vor der kleinen Stadt Odda gibt es einen großen,
den ein Fells in der Mitte teilt, ein Parkplatz und eine Souvenirbude. Von
Odda führt ein zwülf Kilometer langer Tunnel unter dem Bergmassiv hindurch zu den
Fjorden der Westküste. Vor Laffalstrand rauscht ein noch größerer
Wasserfall über die Felsen. Weiter mit der Fähre nach Giermundshaven auf die Insel Tysnesoy. Im kleinen Städtchen Väga ist gerade das
Tysnesoy Festival - Karussells, Fressbuden und Konservenmusik.
Bei Reksteren werde ich von zwei Freunden erwartet, die auf einer kleinen Insel ihre Sommerhütte haben.
Bei einer Bootsfahrt durch die Lagunen ändert sich das intensive nördliche Licht von einem Moment zum anderen, die Wolken treiben ein unentwegtes Lichtspiel.
Doch die Bootsfahrt ist nicht nur eine Ausfahrt aus Zeitvertreib, das Dinner muss noch gefangen gefangen...
Don (✝ 2017), einer der Freunde, die ich aus Ukulelestan kenne, angelt mit einer losen Strippe, an der mehrere Haken verknotet sind - zwei Seelachse
und drei Makrelen auf einmal! Zwei Möwen folgen
dem Beutezug.
Die Angelausfahrt gehörte zum romantischen Teil des Tages, die Ermordung und Zerstückelung der Beute ist der blutige Teil. Das kaltbütige Niedermetzeln der Fische bleibt dem Psychopathen vom Dienst vorbehalten.
Damit den Fischen beim Grillen schön warm ist und damit sie nachher nicht so sehr nach Fisch schmecken, werden sie nach Wikinger-Brauch in Speckstreifen anderer zuvor ermorderter Mitgeschöpfe gewickelt.
Diverse "Sundowner" und meine Ukulele liegen griffbereit - ich stimme weitere Ukulelen.
10. Juli: Nach einer kurzen Probe gründen wir eine neue Boy Group, beie der Suche nach einem Bandnamen einigen wir uns recht schnell auf
The Bad Singing Sombreros.
Wir haben sogar Publikum: eine Frau. efördere ich sie zu unserem Director of Art - und zum Claqueur. Noch gegen 11 ist es taghell. Helge schaltet den
Fernseher ein, um Nachrichten zu sehen und den Ausgang des WM-Spiels
Uruguay gegen Deutschland zu erfahren (2:3). Zu unserer Überraschung kommt im Anschluss eine
Sendung über die neue Ukulele-Begeisterung in den USA.
11. Juli: Beim Frühstück delegiere ich weitere Kompetenzen, ernenne Don zum Masseur der Band und befördere Ingeborg, unser einziges Groopy, zu unserem Director of Art - und zum Claqueur.
12. Juli: Bergen
heißt Bergen, denn es liegt zwischen den Bergen, um genau zu sein:
sieben - das klingt nach Märchen. Tatsächlich ist die ganze Landschaft
an der Westküste bergig, das sieht man besonders gut bei einer Tour
mit der Floibanen, die in gleicher Bauweise wie die Dresdner Standseilbahn
einen steilen Berg, den Floifjel, hinauffährt, auf halber Strecke weichen
sich die beiden Wagons aus - 1908 gebaut, aber mit modernen Stationen und Wagons. Die
ganze Stadt, vor etwa tausend Jahren gegründet, ist ein lebendiges
Wechselspiel zwischen modern und historisch.
Die etwa im
13. Jahrhundert von Hanseaten gegründete Hafensiedlung hieß bis
1945 Tyske Bryggen (Deutsche Brücke), jetzt nur noch Bryggen, und ist
der erste touristische Magnet für die Besucher von Bergen. Die etwas windschiefen Holzhäuser
wurden nach diversen Bränden im 17. Jahrhundert neu errichtet, beherbergen
heute vor allem Restaurants und Souvenirläden, in einigen Höfen blüht
aber noch immer altes Handwerk. Die Plastikmülltonne steht ungeniert
neben der jahrhundertealten Eichenholztür. Bergens Lage an der norwegischen
Nordseeküste und der Golfstrom machen es zur regenreichsten Stadt Europas.
Ein Witz geht wie folgt: Ein Reisender kommt nach Bergen und fragt einen
einheimischen Jungen, ob es hier auch Tage mit Sonnenschein gäbe. Das Kind antwortet: Ich
weiß es nicht, aber ich bin erst 12 Jahre alt! - Statistisch gesehen
regnet es an 350 Tagen im Jahr mindestens einmal, nur ganze 14 Tage im Jahr
ist die Stadt demnach ohne Regen. Mein Anreisetag scheint so ein seltener
Tag gewesen zu sein! Am nächsten Morgen muss es geregnet haben, die
Erde ist nass und Nebel kriecht die Berge hinauf.
14. Juli: Richtung Norden geht es um riesige Fjorde
herum, dreimal kann ich mit der Fähre abkürzen. Nach ungezählten, teils sehr langen Tunneln
komme ich Alesund.
Die
kleine Stadt, von etlichen auf Inseln und Halbinseln gelegenen Vororten
umgeben, brannte 1904 fast komplett ab. Der Neuaubau im damals angesagten
Jugendstil macht das Städtchen heute zu einer Perle an Norwegens
Westküste.
Zum Sonnenuntergang sitzt man entweder auf einer der Bänke in der Hafenpromenade oder man steigt steil den mitten in der Stadt liegenden, etwa 100 Meter hohen
Berg hinauf. Man kann auch beides tun, denn die Sonnenuntergänge dauern
ewig. Ich spiele etwas
Ukulele und werde fünf mal nach CDs gefragt, sowas ist mir noch nie passiert. Und ich habe nichts dabei.
15. Juli: Die Fähre
über den Moldefjord legt gerade ab, als ich im Hafen ankomme - eine
Minute eher hätte ich sie geschafft.. Nachmittags erreiche
ich Trondheim, einiges wärmer als an der Küste von Alesund, aber
trübe, gegen Abend regnet es sich ein. Touristischer Anziehungspunkt
der gräulich wirkenden Industriestadt ist der Nidaros-Dom,
wo seit dem 11. Jahrhundert Norwegens Könige gekrönt werden
- bis heute. Eine Ecke weiter die nördlichste Synagoge der Welt, Haus
an Haus mit Häusern der Heilsarmee und anderen christlichen Institutionen.
Die Karikatur an einem zum Wohnwagen
umgebauten alten Volvo-Bus zeigt ein Männlein, das ungeniert auf die darunter geklebte EU-Flagge pinkelt. Die Norweger haben gut Lachen im wahrscheinlich teuersten Land der Welt. Das mit Erdöl reich und teuer gewordene Land wäre in der EU nur ein Draufzahler geworden...
16. Juli: Nach langer
Fahrt (ca 700 km) durch Berglandschaften - von lieblichen
Hügeln bis alpin wirkenden Gipfeln - überquere ich den Polarkreis. Ein Dutzend Wohnmobile parken auf einen Rastplatz bei Skierstadfjord im im Halbkreis - am Ufer
eines Flusses.
Selbst
im Zelt kann ich um Mitternacht noch ohne Taschenlampe lesen.
Ich höre Stimmengewirr. Jemand behauptet, Besitzer des Parkplatzes zu
sein und verlangt 100 Kronen pro Fahrzeug - mit wenig Erfolg, bei mir ohne Erfolg. Gegen vier in der Frühe lugen die ersten Sonnenstrahlen durch
die Gipfel und eine Schar Möwen kreischt über das Fjord. Es hat
sich auf 10 Grad abgekühlt und der Wind pfeift durchs Tal. Die Möwen werden von Elstern abgelöst. An Schlaf ist nicht
mehr zu denken. Ich packe mein Zeilt zusammen und
fahre weiter. Ein Paar Füchse quert gemächlich die
Straße. Ich bin nicht der einzige Frühaufsteher. Bei Fauske schlendert
ein vergnügtes junges Pärchen die Straße entlang. Halb nackt
sitzt ein anderes auf seinem Balkon mit Blick übers Fjord, ein
Rollbrett-Skater fliegt über den Asphalt. Ein weitere junges Pärchen
flaniert die Hafenpromenade entlang. Es ist fünf Uhr - und der eben
noch schattige Parkplatz wird vom Licht der Morgensonne überflutet.
17. Juli: Es geht weiter an Fjorden entlang - ich folge der E6 bis zum
Abzweig nach Skutvik, die Landschaft ist überwältigend. Ich
komme gerade recht zur Abfahrt der Fähre zu den Lovoten-Inseln. Die etwa zweistündige Überfahrt durch die Inselwelt nach Svolvaer ist wie die Fahrt durch einen Traum: bizarre
Felsen glitzern in der Sonne. Es wird sehr warm - ein elektronisches Thermometer
in der Stadt zeigt 22 Grad an.
Mit der Fähre geht es in die bizarre Inselwelt der Lofoten.
Die Ortschaft am Ende der Insel hört auf den kurzen Namen Å. Im Viking Museum bei Borggibt es archäologische Fundstellen, ein nachgebautes Häuptlingshaus und ein
nachgebautes Wikingerschiff. Die Wikingerinnen sind mir etwas zu unblond - vermutlich sind sie im echten Leben Studentinnen aus südeuropäischen Gefilden, die sich hier etwas Geld verdienen.
18. Juli: Es fängt
mit ein paar Tropfen auf der Frontscheibe an und regnet sich schließlich
ein. Der etwas veraltete Reiseführer "Anders Reisen - Norwegen" (1995) beschreibt Tromsö als "Paris des Nordens"... Ich bemerke keinen Hauch
von Paris. Das Tromsö Vandrerhjem und die im Reiseführer angegebene
Adresse kennt niemand. Ich frage in der Tankstelle, frage im Irish Pub, erhalte den Hinweis,
dass die Straße dahin gesperrt sei. Es sei etwas außerhalb,
irgendwo am Berg. Ich fahre der Nase nach, durch die gesperrte Straße. Niemand kennt das Hostel,
dann steigt jemand ein und weist mir den Weg zum
Studentenwohnheim. Die Herberge ist ein schäbiger Betonklotz, aber es steht tatsächlich International Youth Hostel
und Tromsö Vandrerhjem dran. Und ich erwische - trotz oder wegen der Abgeschiedenheit - das letzte Bett.
Gleich neben
meinen Zimmer ist ein Balkon - mit Blick auf das eingenebelte Balsfjord. In der Küche kann ich kochen: Reis mit
Konservenmais. Im Foyer machen es sich ein Paar Amerikaner bequem, wie in Texas - die Füße auf dem Sofatisch. Was
werden die Inder davon halten?
In der Küche komme ich mit den Indern ins Gespräch, erwähne meine Indien-Reise von 1994. Es
habe sich viel verändert in diesen 15 Jahren, sagen die jungen
Männer, die in Schweden Biologie studieren. Mit den Amerikanern komme ich auch ins Gespräch - ich kann mir nicht verkneifen, sie darüber aufzuklären, dass Schuhe auf dem Tisch in vielen anderen Ländern als Beleidigung gelten, insbesondere am einzigen Tisch, wo mann essen kann. Vor allem die Inder werden das als Verstoß gegen die guten Sitten sehen und lieber im Stehen in der Küche essen. Die Amerikaner bedanken sich sehr höflich - das hätten sie nicht gewusst.
Inzwischen hat sich meine Ukulele
herumgesprochen. Ich verspreche ein Ständchen, und die gesamte
internationale Belegung versammelt sich. Ein älterer Nigerianer, mit dem ich das Zimmer teile, schnarcht wie ein Bär, wacht auf, läuft umher - es ist nicht zu fassen, der Mann schnarcht
sogar im Gehen! Ich versuche draußen
auf dem Sofa im Foyer Ruhe zu finden.
In den Souvenierzelten der Samen und Lappen gibt es traditonelle Rahmentrommeln, gepökeltes Rentierfleisch und auf dem
Feuer köchelt Rentiersuppe vor sich hin. Es gibt auch jede Menge Plüsch-Elche und
sogar Norweger-Socken - letztere für für nur 299 Kronen das Paar (40 Euro), dagegen ist das Dreierpack Schlüpfer für 30 Kronen ein
Schnäppchen, aber ganz gewiss keine Handarbeit aus dem Norden Norwegens.
19. Juli: Am Abend bin ich auf dem Weg zum nördlichsten Landzipfel Europas. Eine entkräftete Radfahrerin blickt etwa 10 Kilometer vor dem Ziel verzweifelt um sich. Ich würde sie gern mitnehmen, aber ihr Rad passt nicht in meinen kleinen Renault Clio - mitten in der Steinwüste unbeaufsichtigt lassen, geht auch nicht. Man sieht, wie sich die Straße steil
hinaufwindet, die Busse schleichen um die Kurven. Gegen 23 Uhr
komme ich am Nordkap an.
Zuvor zahle ich 150 Kronen Tunnelgebühr
und 235 Kronen Eintritt für den Parkplatz mit "Souvenirbude" - das richtige
Wort wäre wohl: Souvenirkaufhaus! Spektakuläre Fotos vom Naturspektakel
Mitternachtssonne gelingen mir nicht, die Wolken am Horizont
lassen nur gelegentlich Licht hindurch. Dafür kann ich mit der Filmkamera den
mittels Sekt gesteigerten Glücksrausch der Menschenmassen festhalten... Es können
100 oder mehr Reisebusse sein... Die in Reisebüchern oft gepriesene Einsamkeit lässt sich allerdings noch auf der östlich gelegenen Insel Sletness finden - am nördlichsten Leuchtturm
Europas gibt es zehn mal mehr Rentiere als Menschen...
Je weiter im Norden desto mehr Rentiere. Wenn man sich ihnen zu Fuß nähert, sind sie scheu, Autos sind sie
gewöhnt. Die Gefahr, eines anzufahren, ist real, denn sie spazieren die
Straße entlang, als wär diese allein für sie gebaut
worden.
20. Juli: Ich wache
gegen 8 Uhr auf. So tief und so lange habe ich
selten geschlafen, seit ich unterwegs bin. Nebel zieht übers Kap, keine
Sicht, sehr windig, die Autotür klappt von selbst zu, wenn man sie nicht
festhält. Zurück nach Honningsvag, der nächsten kleinen
Hafenstadt. Ich erkundige mich nach einer Fähre, die mich nach
Nordkinnhalöya übersetzen könnte, denn dort ist der
zweitnördlichste Ort Europas, sicher mit weniger Andrang. Ich halte
mit auf einer Kreuzung, ein Einheimischer hält an, wir kommen ins Plaudern
über die Lebensweise in diesem Winkel der Welt, stellen die Motoren
ab. Er ist Lehrer an der Schule, es gibt auch Deutsch, deshalb schenke ich
ihm meine CDs. Er empfiehlt mir die zweistündige Überfahrt wegen
des landschaftlichen Reizes. Es kam kein anderes Auto über die Kreuzung
in der Viertelstunde. Ich fahre zum Hafen, buche die Überfahrt für
600 Kronen. Das Schiff geht zwar erst nachmittags (15.15), in der Zeit
hätte ich auch das Fjord umfahren können, das wäre allerdings
auch eine halbe Tankfüllung gewesen. Das kleine Schiff erweist sich
als Kreuzfahrtschiff, MS Kong Harold. 17.30 Landung in Kjullefjord, dann 25 km durch steinige Berglandschaft
bis Mehamn, der nächste Haven, wo auch das Kreuzfahrtschiff anlegen
wird. Die Jugendherberge ist leider ausgebucht, weiter nach Gramvik, die
nördlichste Ortschaft Europas, hier gibt es immerhin ein Gästehaus, das Bett für
700 Kronen (85 ) ist mir zu teuer. Eine Schotterstraße führt zum nördlichsten
Festlandleuchtturm der Welt, zwischendurch Hunderte von Rentieren, die Samen
haben sie domestiziert, manche haben eine Nummer am Ohr, am Ende der Straße
beginnt ein Wanderweg durch arktische Tier- und Pflanzenwelt. Die Temperaturen
sind ebenfalls arktisch, bei 6 Grad baue ich mein Zelt gar nicht
erst auf, auch gibt es immer wieder
Regenschauer. Außer
mir fanden noch einige Wohnmobile den Weg in diese abgeschiedene Ecke, der
Norden des Nordens! Aber warum leben Menschen dauerhaft in diesem rauen Klima,
in einer bemosten Steinwüste?
21. Juli: 80 Kilometer Elche! Zweimal sehe ich tatsächlich welche. Einmal kommt ein einzelner aus dem Wald, queret die Straße und verschwindet wieder im Dickicht. Ein anderes Mal sehe ich mehre in der Ferne, auf einer Sandbank des norwegisch-finnischen Grenzflusses,
Mit dem Fernglas ist das
schaufelartige Elchgeweih erkennbar.
Das Sapmi-Museum in Karasjoke ist eine weitere Museumsenttäuschung,
drei Tippis mit Rentierfellen und Feuerstellen, drei junge Leute in rotblauer
Sami-Kleidung, die gelangweilt ein Lasso um ein Geweih werfen, wenn ein Besucher
kommt, ein angeblich typisches Sami-Restaurant, und am größten
der Souvenirladen, in dem es auch Postkarten von Nordkap gibt, Plüschtiere,
Keramik, Gestricktes, aber keinerlei Literatur! Dabei hatte der freundliche
ältere Mann in Mehamn von dem Museum geschwärmt, ich möge
morgens hingehen, damit ich den ganzen Tag Zeit habe Ich bin nach einer
Stunde durch und den größten Teil davon verbringe i8ch im Restaurant,
wo ich Rentierschachlick mit viel gebratenem Gemüse esse, angeblich
Samitradition, und lange mit dem Kellner plaudere - ich bin der einzige Gast.
Die in Trachten gekleidete Rezeptionionsdamen sind schwedische
Saisonkräfte, blonde und brünette Schönheiten, die
Urbevölkerung ist eher asiatischen Einschlags. Mein Resümee für
norwegische Historienmuseen: professioneller Komerz und Kitsch, reine Abzocke.
Das Personal unaufdringlich, aber sehr freundlich.
Der Tip, besser auf dem nahen Zeltplatz einer Zweierkabine für 150 Kronen
zu buchen als im 7 Km entfernten, viel teurerem Vanrerjehm erweist sich als
Volltreffer. Die Kabine in einer Hütte mit fünf weiteren Kabinen,
Küche etc. ist gut, ich bewohne die gesamte Hütte allein, mit Veranda,
wo ich erst mal Tagebuch schreibe und einem älteren Mann, der sich mit
den Mücken plagt, mein "Anti-Brumm" anbiete. Er identifiziert mich anhand
des Fotosaufklebers auf meinem Renault, wir kommen ins Gespräch. Er
fährt mit dem Rad von K im Nordwesten bis nach Oslo im
Süden. Da sage noch einer ich jugendlicher Autokutscher sei
verrückt Ich erzähle etwas über meine Tour, dann frage
ich ihn aus. Der drahtige Bayer ist 58 (ich hätte ihn auf 68
geschätzt), war früher LKW-Fahrer, nutze die Chance der
Vorpensionierung, wie er sagt, nun genießt Werner die freie Zeit, er
liebt Skandinavien schon seit Mitte der 70er Jahre, sein Rad ist natürlich
ein spezielles, für solche Fahrten geeignetes. In vier Satteltaschen,
zwei vorn, zwei hinten, bringt er sein Zelt, Klamotten und Futter unter.
Bei warmen und trockenem Wetter, wie es sich jetzt wieder eingestellt hat,
ist das sicher eine sportliche Herausforderung, bei Regen und Kälte
muss es eine Strapaze sein, von den Bergen mal ganz abgesehen.
Der Zeltplatzwart hackt Holz vor der Sauna und vor dem großen Tippi,
ich frage ihn, ob das Zelt privat sei. Nein, ich könne mich reinsetzen.
Das tue ich dann auch - natürlich mit Ukulele, die im kalten
Norden drei Tage lang unberührt blieb. Wie zu erwarten zieht der Klang
nach einiger Weile Camper an, zuerst Werner, den
ich quasi einlud, dann zwei Motarradfahrerinnen.
Ich singe, sie applaudieren, wir kommen ins Gespräch, eine der beiden
ist Lehrerin, sprich deutsch, hat in Trier studiert. Wir reden über die
Verwandtschaft und Eigenheiten der germanischen Sprachen. Sie sagt, es gäbe
im Norwegischen keine Verniedlichungsform und bringt als Beispiel "Kanin"
und "Kaninchen"...
Der Zeltplatzwart kommt mit
einem Schoßhündchen - "Hünn", das einen kleinen Wagen mit
Feuerholz zieht - zur Erquickung aller Anwesenden.
22. Juli: Nach der Grenze
zu Finnland folgt eine weite Sumpf- und heideartige Landschaft. Besonders
reizvoll sind die kleinen Teiche, von Schilf umrundet, mittendrin eine Miniinsel
und darauf ein Bäumchen und zwei Sträucher. zwischen großen
Steinen suchen sie Halt - die Natur spielt Gärtner. Fast 100 Kilometer
bis zum nächsten Ort, wo ich Mittag essen möchte, aber kein Wort
aus dem Angebot verstehe. Finnisch ist eine so fremde Sprache, da gibt es
keine Ähnlichkeiten, manchmal klingt es etwas wie ungarisch - und damit
ist es ja etwas verwandt, die finurgrische Sprache ist der Exot in Europa.
Englisch wird nur rudimentär verstanden und gesprochen, da hilft nur
noch Gestik. Dann beginnt es zu regnen, später geht es in Wolkenbrüche
über, hört kurz auf, und fängt von vorne an - bis in die Nacht
nur Regen. Gegen Mitternacht halte ich an einem Imbiss und plaudere etwas
mit der Verkäuferin. Sie empfiehlt mir einen Campingplatz bei Oulu,
230 km weiter. Was macht man bei Regen? Man fährt und fährt und
fährt, die ganze Nacht hindurch - in der Hoffnung, irgendwo werde es
schon aufhören. Das tut es dann auch, dort parke ich und "schlafe" im
Auto, denn der Wind pfeift keine Chance für das Zelt.
23. Juli: Ich bleibe
in den Bergen an der Ostgrenze, bei Russland, ein älteres Hallenser
Pärchen, das ich in Norwegen traf, hatte mir dazu geraten - die Küste
sei langweilig. Die Berge sind hier - nach Norwegen und überhaupt -
nicht sonderlich spektakulär. Es regnet, da hat die schönste Landschaft
wenig Reize. Doch eines Morgens, in ein paar sonnigen Momenten, entdecke
ich an der durch Karelia führenden E 63 eine wunderliche Ansammlung
von bunt gekleideten Vogelscheuchen, eine Installation des finnischen
Künstler Reijo Kela.
Hiljainen Kansa - Stummes Volk heißt das auf deutsch. Ich spielen den Stummen was auf meiner Ukulele vor... Der Wind spendiert rauschenden Applaus.
Auf der Europastraße
63 begegne ich mehr Rentieren als Fahrzeugen. Sie laufen nachts mitten auf der Straße,
als gehörte sie ihnen allein. In den Bergen und im grauen Wolkenhimmel,
nun wieder südlich des Polarkreises, wird es zwar auch nicht dunkel,
aber wenigstens dämmrig. Man muss sehr aufpassen. Die Krankenwagen sind
mit einer zusätzlichen Stoßstange ausgerüstet. Die LKWs sind
die schnellsten, sie überstehen einen Zusammenstoß mit etwas
Blechschaden. Auch wenn man nicht gern einen vor sich hat, falls man schneller
vorwärtskommen will, am besten überholen lassen und mit Abstand
hinterher fahren, die Brummis fegen die Straße leer
Den Ort Uolu, den mir die Imbissverkäuferin letzte Nacht empfohlen hatte,
finde ich nirgends in südlicher Richtung, vielleicht zu klein für
meine Karte? Dann, schon recht weit im Süden, bemerke ich ein Schild:
197 km bis Uolu, doch die Straße führt nach Westen, an die
Küste. Da entdecke ich es auch auf der Karte, das ist wieder weiter
im Norden. Aber ich habe Zeit, der Regen hat mich weit fahren lassen, und
im Osten klart es auf, blauer Himmel. Also ab an die Küste, auch wenn
es wieder nordwärts geht. Der empfohlene Zeltplatz, nach langem Suchen
auf einer Küsteninsel gefunden, erweist sich als riesige "Freizeitparadies"
- beim Eingang stehen die Fahrzeuge Schlange und in der Rezeption muss man
ein Ticket ziehen und warten, bis man an der Reihe ist. Das sieht nach Horror
aus! Nichts wie fort, irgendwo Richtung Süden wird sich doch ein kleiner,
ruhiger Zeltplatz finden. In Raahe, etwa 70 Km von Uolu, finde ich ihn, auf
den ersten Eindruck zu ruhig, nichts mit einem geselligen Bierchen. Die
Caravan-Mobile ziehen ihre Jalousien runter, das eine andere Zelt den
Reisverschluss hoch, aber in der Ferne hört man eine Coverband, klingt
wie "Musikalische Luftfracht" aus Radio DDR in den 70ern - und es ist
Freitagabend und das ist keine Bandprobe, das ist Partytime! Alles zum Ausreisen,
aber ich bin müde, trinke eine 0,33-Büchse Bier als Schlaftrunk,
dünne Brühe aus dem Supermarkt, 2,30 das günstigste,
nun muss ich bleiben. Lehre des Tages: Keinen ungeprüften Empfehlungen
mehr nachfahren, das ging nun schon dreimal daneben! Was die Lofoten betrifft,
war es eine Ausnahme, aber die gehörten ohnehin zum Pflichtprogramm.
24. Juli: Meistens ist
es am besten, der eigenen Intuition zu folgen anstatt den Empfehlungen anderer
Reisenden oder Imbissbudenverkäuferinnen zu folgen (siehe Vortage).
Zu Mittag halte ichan einer Raststätte wenige Kilometer vor Vaasa, eine
Hafenstadt wie Uolu und mein ursprüngliches Ziel des heutigen
Streckenabschnittes, entdecke die ausliegenden Informationsblätter für
Touristen und da wird das Schärengebiet Kvarken, nordwestlich von Vaasa,
erwähnt. Obgleich es etwas verschlungene Wege sind, finde ich mein
Zwischenziel sofort und spüre auf dem Weg dahin, dass es damit etwas
Besonderes hat - nennen wir es zunächst pure Landidylle. Als ich ein
kleines Hotel finde und ein preiswertes Zimmer, steht fest, dass ich hier
bleibe. Dann erkundige ich mich nach näherem Infomaterial und siehe
da: Ich bin in Finnlands einzigem Unesco-Naturschutzgebiet. Eigentlich ist
ja ganz Finnland ein Naturpark sonders gleichen, aber hier geht etwas
Merkwürdiges vor. Seit der letzen Eiszeit bilden sich immer wieder neue
Inselchen aus Felsbrocken und steinigen Geröll, welches das Eis hinterlies
- dem Mythos zufolge war es natürlich ein wütender Riese, der all
dies hier verstreute. So bilden sich ständig neue Seen und die nutzen
einzigartige Pflanzen und Vögel als Rückzugsgebiet. Das macht die
gesamte Hauptinsel schützenswert. Außerdem ist Schwedenhaven
(Svediehamn), noch heute nicht viel mehr als ein paar Fischerhütten
und ein Cafe, ein historisches Relikt, seinerzeit die nächste Stelle
für eine Überfahrt nach Schweden, nutzen ihn die Könige und
die Post. Das hab ich nun auch alles gerade erst gelesen und will hier nicht
weiter ins Detail gehen. Eine Wanderung durch das Schutzgebiet, abends in
die Sauna, dann ein Gläschen Weiswein - das entschädigt für
die Strapazen der letzten beiden Tage, die ich fast durchgehend im Auto
verbrachte. Eine schwarzweiße Katze streicht unter meinen Beinen hindurch,
während ich das schreibe - als sei ich schon seit Tagen hier, und ein
diickfelliges Wuschelkneuel folgt ihr gelassen den selben Weg, als wollte
es sagen: den hab' ichschon vor Stunden entdeckt... Will schmusen - und kratzen,
das Biest!
Björkö Wärdshus
ist ein kleines, aber feines, dazu preisgünstiges
Hotel mit Sauna, einem Fläschlein Wein, einer sehr sorgsamen
jungen Wirtin - und mindestens drei Katzen. Sonnenuntergang über der
Schärenlandschaft Kvarken (engste Stelle im Bottnischen Golf).
25. Juli: Über
die Hafenstadt Vaasa am Bottnischen Meerbusen geht es südöstlich
in Richtung Helsinki. Es wird warm, man kann bei 25 Grad und Sonnenschein
schon von Hitze sprechen, nach den kühlen Wochen im Nord sind es ohnehin
gefühlte 30 Grad - ich bin sozusagen wieder in "Südeuropa" angekommen,
um genau zu sein, in Jokela, einem Stadtkaff 45 Kilometer vor Helsinki, noch
genauer: bei Juha, Journalist und ehemaliger Fernsehproduzent, angehender
Bierbrauermeister - und Ukulele-Enthusiast. Er lebte 20 Jahre in Bonn, spricht
daher fließendes Deutsch und wir diskutieren bis spät in die Nacht
über Finnland und Deutschland, über die eingeschränkte
Pressefreiheit, welche unter anderem aus der einstigen Pufferstaat-Rolle
Finnlands zur NATO resultiere, daher voller Tabus und sowjetfreundlich,
über Bier und die seit 1919 anhaltende Prohibition in Finnland und den
anderen - protestantischen - Ländern Skandinaviens, über Nietzsche,
Schopenhauer und den Koran - über Gott und die Welt also - und wir spielen
zwischendrin immer wieder Ukulele. Juha hat, wie sich bald herausstellt,
eine Sammlung von wertvollen Einzelstücken, darunter eine eigenwillig
geformte Tenor-Ukulele, das G tief gestimmt, und daher näher zur Gitarre
hin klingend, gebaut von Peter Howlett, einem Amerikaner aus Missouri. Juha
kennt - sowohl als Journalist wie auch als Organisator diverser Veranstaltungen
und Festivals - viele Leute.
Die seltsame Doppelstockbauweise der Windmühlen ist in Südfinnland oft zu sehen. Weicht man von der
Europastraße ab und folgt solch einem Kringelkreuz, führt das
selten zu spektakulären Sehenswürdigkeiten.Manchmal, kilometertief
im Wald verteckt, ist das "Musem" trotz Hochsaison gar nicht geöffnet,
das alte Kloster längst in Privatbesitz und von einem kläffenden
Köter bewacht, oder aber der Souvenirshop ist größer als
der Rest der Ausstellung...
27. Juli: Ich fahre
in östliche Richtung in das große Seengebiet. Die Temperaturen
steigen auf über 30 Grad und es ist offensichtlich schon lange sehr
trocken. Die Felder wirken fast verbrannt, das Getreide scheint reif für
die Ernte. Abends erlebe ich endlich wieder einen richtigen Sonneuntergang,
das heißt: es wird nicht nur Dämmerlicht wie weiter im Norden,
sondern richtig dunkel - fast wie zuhause. Dabei liegt diese Gegend immer
noch nördlich vom nicht mehr weit entfernten Petersburg, das mit seinen
"weißen Nächten" wirbt. Der östliche Ort meines Ausfluges
ist Imatra, wenige Kilometer vor der russischen Grenze - auf russische Urlauber
sind die hiesigen Campingplätze gut eingestellt.
28. Juli: Die
Europastraßen werden zweispurig ausgebaut, 50 Kilometer Baustelle bei
50 km/h und ab mittags 35 Grad sind ermüdend. Ich suche einen See, um
ein Nickerchen zu machen und mich zu erfrischen. Das Nickerchen ist ziemlich
kurz, denn während ich gerade eindöse und erste Traumbilder mich
umnebeln, krabbelt es an meinem rechten Oberschenkel. Ich greife an die Stelle
und halte etwas Glibberiges in den Fingern: eine
daumendicker, raupenähnlicher Wurm, zwei Mittelfinger lang! Sucht der einsame Wurm Gesellschaft? Schlafen kann ich nach diesem
Schrecken nicht mehr.
Hitzige Temperaturen
und Trockenheit herrschen im Südosten
Finnlands. Ich kampiere bei Puumala. Ich springe in den See und fahre anschließend
Richtung Jokela, hole dort, bei Juha, das Nickerchen nach.
Später kommt ein Ukulelefreund von Juha zu Besuch: Seppo. Der ist außerdem ein Freund alter Autos - seine Leidenschaft ist das
"Hässliche Entlein", ein froschgrüner Citrön aus den 60ern.
Wir spielen Ukulele und zwischendurch gibt es immer wieder
Bierverkostung.
29. Juli: Aus der noch
recht fernen Heimat erreicht mich die Nachricht über den Tod eines Freundes: Rainer
Wriecz. Sein letztes Gemälde beschrieb er mit dem Satz:
"Zwischen Geburt und Tod ist jede Bewegung, jedes Gefühl und jeder Gedanke
in Deinem Leben, immer schon anwesend. Zeit ist ein Produkt unseres Bewusstseins.
Alles ist gut wie es ist. - Nichts bleibt wie es ist..." Am
Abend des 26. Juli hörte das Herz von Rainer auf zu schlagen, schrieb sein Sohn.
Gestrandete Schiffe und die
Anmut des Morbiden prägen viele Gemälde von Rainer Wriecz.
30. Juli: 30 Juli: Zeitig
am Morgen fahren Juha und ich zum Helsinki Bier Festival, er hat einen Stand
dort und ich soll Ukulele spielen.
Etwa 7000 Finnen frönen hier einen ganzem
Tag lang ihren neuen Kleinbrauereien, die dem staatlichen Alkoholmonopol,
vor allem dem auf 4,7 % begrenzten Industriebier mittels alter Brautradition
Konkurrenz machen wollen, Bier wird hier verkostet wie in anderen Länder
Wein. Man hellt das Glas gegen das Licht um die Farbe zu prüfen, riecht
die Blume, setzt bedächtig an - und beißt das Bier. Es wird über
Malze, Hefen und Hopfen gefachsimpelt, über Fluch und Segen des deutschen
Reinheitsgebotes, und es wird über die monopolistischen finnischen
Bierbrauer gelästert und geschimpft, die für den Untergang der
einstigen Brautradition stünden. Das ursprünglichste Bier der Finnen
heißt Sahti (sprich Sachti).
Meine Ukulele geht in dem Gedrängel
völlig unter - das Motto ist offenbar: Sehen und gesehen werden. Stolze
männliche Bierbäuche neben eleganten Hauptstädterinnen, blond,
brünett, manchmal pechschwarz.
Großflächige Tätowierungen auf Armen, Beinen und Rücken
gehören zum Erscheinungsbild, etliche Security-Leute - phosphorgrüne
Westen - haben Irokesenfrisuren, ein bunter Haufen Volk auf der Suche nach
einer neuen Bierkultur. Für mich ist der Rummel
ums Bier nicht so interessant - ich spaziere noch etwas durch die finnische Hauptstadt.
Dichter oder Denker? Was schert's die Möwe auf dem hehren Kopf... Aller
Ruhm verweht im Tagesgeschäft.
Hier werden die Rundfahrtbusse zuerst ausgekippt - Klassizistische Dom-Kathedrale
von Helsinki.
Obst und Gemüse, Südfrüchte jeder Art - im Hafen von Helsinki steht ein Stand neben
dem anderen.
Ein gutes Bild von einem Haufen
Fahrräder (Hintergrund) hinzubeommen, ohne dass einem jemand dazwischen kommt, ist in Helsinki schwierig.
Nach meinem Stadtbummel bin ich froh, dass Juha seinen Stand
beizeiten abräumt. Auf dem Bahnhof gibt es noch eine Stippvisite im
Alco (dem staatlichen Alkladen, wo es gutes Bier für fünf Euro
gibt - die Flasche wohlgemerkt! Das findet auch Juha immer wieder kriminell...
Der Zug fährt und die Stimmung ist
gelöst, bei Juha, weil er seinen Job hinter sich hat, bei mir, weil
ich endlich dem Gedrängel entkommen bin. Dann kommt der große
Schreck Ich habe meinen Ukulelenkoffer samt Inhalt im Schalterraum
des Bahnhofes liegen lassen. Wir rufen immer wieder im Fundbüro an,
aber dort ist bis Mitternacht nichts angekommen. Eine solange Reise ohne
jede Panne,das wäre einfachzu schön gewesen. Ich verbringen den
Abend mit Selbstvorwürfen und den üblichen Kausalkonstruktionen:
Hätte ich doch nur...
31. Juli: Die Fähre
nach Tallin geht 8.30 Uhr. Von Lokela bis Helsinki fährt man
etwas länger als eine halbe Sunde und muss mit etwas Großstadtverkehr
rechnen. Außerdem fahren wir noch zum Bahnhof, eine letzte Chance,
meine Ukulele zu finden.
Morgens
um 7 Uhr auf dem Bahnhof von Helsinki - die Ukulele ist wieder da! Jemand hat sie gefunden, abgegeben. Die Schalterfrau
verschwindet zielsicher hinter einer Zwischenwand - und als sie wieder auftaucht,
hat sie den blauen Koffer in der Hand. Ich erhalte sie ohne bürokratische Umschweife zurück. Was für ein Glück!
Ich verabschiede mich am Hafen von
Juha und checke auf der Superstar ein, eine Fähre, die den Namen allein
der Größe wegen verdient. Ich dachte, ich sei inzwischen auf
Riesenschiffen gewesen, aber die Superstar ist wahrlich eine schwimmende
Stadt. Es hat sich abgekühlt, letzte Nacht geregnet, und auf dem
Außendeck pfeift ein Wind, der einen von den Planken fegen kann. Mann
muss sich festhalten, besser wieder nach innen, an einer langen, langen Schlange
zum Frühstück anstellen. Auf hoher See schlingert der "Kahn" -
er rockt und rollt, wie es in der Seefahrersprache hieß. Dabei zu laufen
oder stehen ist nicht ganz ohne, erst recht, wenn man mal dahin muss, wo
man gelegentlich mal hin muss.
In Tallin angekommen, gibt es den ersten Stau seit langem, ich nehme
gleich die Umgehungsstraße, denn Tallin kenne ich bereits. Zwei
Anhalterinnen wollen nach Riga, das wird eng in meinem Clio. Ich halte trotzdem,
aber sie haben zu viel Gepäck und verzichten freiwillig. Nicht nur mein Fahrzeug ist zu klein, auch Estland ist nicht groß: Ohne diesen
Stopp hätte ich nicht ein einziges Mal estnischen Boden betreten. In
Lettland führt die E67 direkt am Strand entlang. Auf dem Parkplatz das
erste Mal wieder deutsche Wohnmobile - und Frauen, die sich übers
Wäschewaschen unterhalten, im zweiten Fall übers Kochen Juha
zufolge ist letzteres - entgegen der "politischen Korrektheit" - eigentlich
Männersache, so wie Bierbrauen und Autos
Ich möchte die Millionenstadt Riga umfahren, doch dafür
gibt es keine Beschilderung, also muss ich durchs Zentrum, wo ich viel neuen
Beton und Glaspaläste sehe, die Stadt prosperiert, nur mit den Straßen
steht es in Lettland nicht beim Besten - viel Flickwerk, holterdiepolter,
rote Welle, aber kein Stau wie vor zwei Jahren, ich komme ohne Verirrung
wieder hinaus und bin auf dem Weg nach Tukums, einer Kleinstadt, in deren
Nähe Marris wohnt. Ich lernte ihn 2008 bei meiner Baltikumreise kennen,
auch ein Freund des Bieres und der Autos. Nach ersterem geht es auch gleich
an letzteres. Bellende Hunde künden weiteren Besuch an, doch der macht
sich gleich an die Ausschlachtung eines 20 Jahre alten Mercedes.
Vom finnischen Bier- und Autoland ins lettische Bier- und Autoland... Ich bin nur für die Dokumentation einer Mercedes-Benz-Obduktion zuständig - und zum Feierabend für eine Lektion Ukulele...
Das gibt
Ersatzteile für den noch älteren, aber weniger rostigen Wagen gleicher
Marke. Zuerst wird die Rückscheibe ausgebaut, "Masterplan" des Tages
sei es, das Wrack auf den Rücken zu legen, um an die übrigen Eingeweide
zu kommen. Die Szenerie wird zur Kulisse für einen Ukulele-Sketch
Abends kommen weitere Freunde zum Grillen, zum Musizieren und in die
selbstgenbaute Sauna, die ich - leicht schwankend - um zwei Uhr verlasse.
Ein Tag, der in Helsinki mit vorsichtiger Hoffnung begann, durch Tallin und
Riga führte und der mit Sauna und einem schönem Rausch auf dem
Lande abgerundet wird.
1. August: Nach dem
Ausschlafen eines kleinen Katers - der Vortag war 20 Stunden lang und endete
mit Benz-Abwrackung, Grillparty, Sauna und etlichem Alus (Bier) - mache ich
mich am späten Nachmittag in die Spur Richtung Klaipeda (Memel), von
dort mit der Fähre auf die Kurische Nehrung und nach Nida (Nidden),
das einstige Künstlerdorf Ostpreußens, wo ich in der schönsten
Abenddämmerung ankomme und ein Zimmer finde - noch etwas "unfinished",
wie man hier im Baltikum zu Dauerprovisorien sagt... Ein paar Kompromisse
muss man für eine preisgünstige Unterkunft allerdings machen. Dafür lernen ich, weshalb die Wanze
sprichwörtlich wurde - was "verwanzt" ursprünglich
bedeutet.... Du siehts siehst und hörst sie nicht. Aber sie sehen
und hören dich... Und schließlich beißen sie dich, sauge dein Blut, iknfizieren dich schlimmstenfalls mit Krankheiten.
2.-4. August: Dieses
Nidden ist noch genauso unverschämt schön wie vor zwei Jahren
Es schaut dir in die Augen..., nicht schamlos, aber eben auch nicht
verschämt, also recht un-verschämt Ich lächele zurück. Und
die Postkartenverkäuferin möchte lieber deutsch als englisch mit
mir sprechen. Ich kaufe jeden Tag die gleiche Postkarte. Falls jemand eine
erhalten hat, so verdankt sich dies allein dem Scharm litauischer
Marktwirtschaft... Auf der Promenade am Kurischen Haff spazieren die baltischen
Grazien, radeln, skaten, schlendern im sommerlichsten Kleidchen an dir
vorüber. Und am Ostseestrand räkeln sich die Nudisten
im Sand.
Nidda bietet auch andere
Sehenswürdigkeiten, als da wären: die große Wanderdüne,
die samt der Kurischen Nehrung seit 2000 unter Unesco-Welterbeschutz steht,
einst als Postweg wie als Marschpfad für napoleonische und zaristische
Truppen genutzt, während der Sowjetherrschaft ein militärisches
Sperrgebiet, das nunmehr an die russische Enklave Kaliningrad, das einstige
Königsberg, grenzt; das "Thomo Mano" Haus, welches sich der 1930 frisch
gekürte Literaturnobelpreisinhaber im Stil der historischen
Fischerhäuser bauen lies; das kleine Museum des kunstfreundlichen
Schankwirtes Blode, der den Königsberger Malereistudenten Unterkunft
gegen Bilder bot, heute dokumentiert die Ausstellung die Geschichte des
ostpreußischen Künstlerdorfes, wo Dr. Freud Erholung von seinen
Patienten suchte; eine lutherische Kirche mit gelegentlichen Barockkonzerten;
einen Friedhof mit den Grabmälern einstiger Künstlerprominenz nebst
Grabsteinen aus heidnischen Zeiten;- kurz: genug Historie, um Postkarten
und Bernsteine an deutsche
und russische Urlauber zu verhökern. Meine einstige Lieblingskellnerin Inga ist nicht
mehr hier, die Gemüseverkäuferin, die damals bewirkte,
dass ich eine einzelne Tomate kaufe und aß (vorher konnte ich nicht ran an das rote Zeug!), ist auch nicht
mehr hier, die Musiker sind auch nicht mehr die selben. Das Personal wechselt
von Saison zu Saison, doch die Kurenwimpel bleiben, die
Bootskennzeichen der traditionellen Fischerkähne.
Abends an der Promenade des Kurischen Haffs: Das Wahrzeichen von Nidden ist der sogenannte Kurenwimpel der traditionellen
Fischerkähne. Es gibt verdammt viel schöne Frauen - man(n) müsste nochmal
20 sein, aber mit dem vielen Geld von heute... - und trotzdem mit der
Weisheit, dass man nicht alles haben kann, was einem
gefällt... Ich bin nicht der einzige, der tagebuch schreibt... Wahrscheinlich schreibt die Schöne über Jungs, die nur ein klein wenig jünger
sind als ich...
Ein Wiedersehen und -hören gab es mit dem kammermusikalischen Ensembe Musica Humana.
5. August: Um 6 morgens
wollte ich in Nida starten, doch das abendliche Lagerfeuer lässt mich
bis 8 schlafen, um 9 bin ich endlich startbereit. Zurück nach Klaipeda,
über Kaunas Richtung Villnius, da ich - wie vor zwei Jahren - in Trakay
beim russischen Bauern übernachten will, nahe der alten Ritterburg,
die den Ort zur Touriattraktion macht. Auf halbem Weg überlege ich es
mir anders, verlasse die Autobahn, versuche querfeldein Richtung Grenze
abzukürzen, verfahre mich auf endlosen Schotterstraßen.
Spät abends, nach 12 Stunden Fahrt, erreiche ich die riesige Stadt Warschau, wo dann keinerlei Parkplatz zu finden ist. Ich riskiere das Falschparken, um wenigstens einen kleinen Bummel
durch die lebhaften Gassen unternehmen zu können. Um diese Zeit eine Herberge
zu finden ist aussichtslos.
Glitzernde
Glasfasaden verdrängen die grauen Betonbauten der Stalinzeiten
- die Millionenstadt erlebt einen enormen Bauboom. In den Straßencafes der Altstadt tummelt sich die Jugend - sehen und gesehen werden...
Ich bin noch putzmunter, versuche irgendwo außerhalb der Metropole ein Quartier oder ein Fleckchen im Wald
zu finden. Ich verfahre mich hoffnungslos, komme nach 17 Stunden
Fahrt und mehr als 1100 km an einem Tag in Krakau an.
6. August: Nach einer
Nacht im Auto besichtige ich die historische
Altstadt von Krakau. Ich bin das dritte Mal hier, das erste Mal war ich im Sommer 1989 hier, mit Transitvisum - illegal auf der Rückreise von Nowosibirsk. Spätestens
da wurde klar, dass die Tage von Mauer und Stacheldraht gezählt waren.
Beim zweiten Besuch im Sommer 2000 ruhte ich am Straßenrand aus - mit der
Ukulele, aber nicht um den Straßenmusikern Konkurrenz
zu machen, denn gegen Trompeten und Akkordeons hätte ich eh keine Chance
gehabt. Ich klimperte einfach für mich und vor mir selbst hin, dabei
entstand eine Melodie. Eine alte Polin blieb stehen, lauschte
ein Weilchen und legte mir fünf Zloty auf den Ukenkoffer. Ich war sehr überrascht über die unverhoffte, großzügige Spende, nannte das Instrumentalstück dann 5 Zloty Rag.
Das Frühstück nehme ich in der Nähe von Wroclaw, erstmals
"esse" ich in dem Imbiss mit dem großen M. Und ich verspreche: Das
war auch das letzte Mal! So viel Kulturlosigkeit aus Pappe, Plastik und
Massenabfertigung... Die Autobahn ist bestens ausgebaut - und mautpflichtig.
Gegen aufkommende Müdigkeit kämpfe ich mit Tempo an. Bei 170 Sachen
überholt mich brüllend ein Motorrad, aus dem Helm wehen zwei
geflochtene dunkelblonde Zöpfe...
Die kleine
Aufmunterung hält nicht lange, ich versuche es mit einem Nickerchen
auf einem Rastplatz, doch der nahe Verkehr ist gnadenlos laut. Ich nehme
die nächste Abfahrt, schlafe ein Stündchen auf dem Parkplatz eines
Restaurants, bestelle anschließend einen Kaffee - und weil es fein
aussieht, entschließe ich mich für ein vorgezogenes Dinner: gegrillter
Lachs mit Thymian, eine leckere Entschädigung für das
M-Frühstück, außerdem drahtlos Internet, ein letztes Update
von unterwegs. Da stört es mich nicht, dass die ABBA-Platte schon das
zweite Mal läuft: Waterloo, Fernando etc. - Noch etwa 400 Kilometer bis
nachhause.
7. August: Die Elbe begrüßt mich mit Hochwasser. Innerhalb weniger Stunden
steigt der Pegel um drei Meter und überflutet die Uferwege. Die graugänze krächzen: Habt ihr's schon gehört? Der mit der Ukulele ist wieder in Laubegast!
Lasst uns besser Abstand halten...Die erste
Nacht im eigenen Bett, nach über 12 Tausend Kiliometern on the road, durch sieben Länder - mit sieben
verschiedenen Sprachen und sieben verschiedenen Währungen. Ich bin einen Tag eherzurück als geplant und
damit gerade noch einer heftigen Regenfront entkommen... Als ich losfuhr, war die Elbe ein Rinnsal, der Pegel sank noch bis 64 cm - als ich heimkehre, steht der Pegel bei 550 cm!
Mal wieder im eigenen Bett schlafen ist angenehm. Doch das Reisefieber hielt mich weiter gefangen... Kaum bin ich vom nördlichsten Zipfel Europa heimgekehrt, muss ich noch im Herbst in den tiefen europäischen Süden, nach Syrakus auf Sizilien...