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zum Seitenanfang Selbst in der Бутербродная gab es kein Butterbrot

Das wirtschaftliche und politische Defizit des SED-Regimes und des gesamten Ostblocks steuerte 1989 auf einen staatlichen Zusammenbruch zu. Dank des privaten Kontakts in Nowosibirsk blieb mir die Option, eine weitere Reise nach Russland zu unternehmen, diesmal im Hochsommer und gemeinsam mit einem Dresdner Musikfreund. Dort, zwischen Moskau, Leningrad (St. Petersburg) und Nowosibirsk, wurde das Scheitern von Gorbatschows Reformversuchen deutlicher sichtbar. Der Zerfall des sowjetischen Systems war so weit fortgeschritten, dass etwas Glasnost und Perestroika nicht mehr halfen.*

In Sibirien ist es im Sommer so heiß wie es im Winter kalt ist... Für ein paar Tage konnten wir der Stadthitze von Nowosibirsk entfliehen und wurden in einer Datschen-Siedlung am kilometerbreiten Strom Ob mit allem versorgt, was der urbane Schwarzmarkt hergab. Dank sibirischer Gastfreundschaft bekamen wir nicht gleich mit, dass die beiden jungen Frauen, die wir kennengelernt hatten, all die kulinarischen Extras unter einigem Aufwand besorgt hatten. So ähnlich, wurde mir später klar, bemühten auch wir uns immer um das Wohl unserer Gäste. Statt den Gästen aus dem Westen die Realität der Mangelwirtschaft zu überlassen, wollten wir gute Gastgeber sein - und besorgten, was man besorgen konnte. In Sibirien waren wir selbst die Gäste aus dem Westen. Einen Vorgeschmack auf den bevorstehenden Zusammenbruch bekamen wir erst bei der Heimreise.

Nach der zweitägigen Fahrt mit der Transib waren wir ab Moskau auf uns selbst gestellt - zur Weiterfahrt nach Berlin hatten wir große Schwierigkeiten, Platzkarten für den Zug zu ergattern. Nach der abendlichen Schließung der Schalter rief ein Beamter in Uniform aus, dass für Kriegsveterranen und Frauen mit Kindern Schlafplätze in abgestellten Zügen zur Verfügung stünden. Wir nächtigten direkt unter dem Schalterfenster. Die sogenannte Spätaussiedler hatten für ihre Ausreisegenehmigung gewiss monatelange behördliche Schikanen ertragen müssen. An den nachts geschlossenen Kartenschaltern im Bjelarussischen Bahnhof wurden sie zu rücksichtslos vordrängelnden Konkurrenten. Nach drei nahezu schlaflosen Nächten im unfassbar überfüllten Bahnhof trafen wir sie im Zug wieder. Dort waren sie wieder normale Menschen und teilten ihre Schmalzbrote mit uns - und den Wodka...

Bis zur Abfahrt unseres Zuges mussten wir uns drei Tage und drei Nächte ohne Quartier, ohne Nahrung. ohne Getränke um die Ohren schlagen. Für Rubel bekam man nicht einmal an der Бутербродная, einem mitten auf dem Roten Platz aufgestellten Bauwagen, der zum Kiosk umgebaut war, ein Butterbrot, wie es der Name des Kiosk versprach. Alle Regale waren leer! Paradoxerweise fragte uns der Verkäufer dennoch, was wir denn zu kaufen wünschten!

Trotz der chaotischen Versorgungsengpässe gelang es uns am nächsten Tag, Fahr- und Platzkarten ins damals noch Leningrad heißende St. Persburg zu erwerben. In den bequemen Sitzen des Schnellzuges konnten wir unser Schlafdefizit etwas ausgleichen - bis eine Schnaffnerin uns nach zusätzlichen Genehmigungen für ausländische Reisende fragte und an der nächsten Station aussteigen lassen wollte. Sie schaffte es aber nicht mehr, sich bei ihren Vorgesetzten zu erkundigen, wie mit uns zu verfahren sei. So erlebten wir einen Tag an der Newa und im Ermitage, wo es eine beachtenswerte Sammlung impressionistischer Werke zu bestaunen gab, darunter eltliche Gemälde von Van Gogh und Gauguin.

Einen Grund zum Feiern gab es dann auch noch bei der Ausreise, die damals in Brest, an der heutigen Grenze zwischen Polen und Belarus erfolgte. Die Passkontrolle ging in einer riesigen Werkshalle vonstatten, wo wegen der größeren Spurbreiten der russischen Bahn auch die Auswechslung der Fahrgestelle erfolgte, was trotz aller Routine einige Stunden in Anspruch nahm. Eine Russin mit zwei Kindern fand ihre Reisedokumente nicht, doch die geduldigen russischen Kontrolleure mussten irgendwann eine Entscheidung treffen. Was dies, nach all den vorangegangenen Strapazen für die verzweifelte, zu weinen beginnende Frau und ihre Kinder bedeutet hätte, wurde uns im Abteil schnell bewusst. Alle suchten in allen Ecken unter und zwischen Polstern der Sitze. Im letzten Moment fanden sich ihre (etwas zu gut versteckten) Pässe dann doch noch an. Die Erleichterung bei allen Mitreisenden stand jener der Passkontrolleure nicht nach. - Выпьем за то, чтобы у нас всегда был повод для праздника!  - Trinken wir darauf, dass wir immer einen Grund zum Feiern haben!

Wieder daheim in Dresden entwickelte der Zusammenbruch auch in Honeckers Teil Deutschland seine eigene Dynamik. Die Grenzen nach und Polen und Tschechien waren geschlossen, damit war der Osten Deutschlands kommplett abgeschlossen. Die bereits mit Hunderten Flüchtlingen überfüllte bundesdeutsche Botschaft in Prag führte zu einem bilateralen Abkommen, das den Zug der Ausreisewilligen nochmals durch Dresden führte. Einheimische wollten den eventuellen Stopp im Dresdner Hauptbahnhof zum  Aufspringen nutzen, doch die Zugänge wurden weitsäumigen abgesperrt - es kam zu Tumulten und zu Verhaftungen. Die medial nachträglich geschaffene Schmeichelei "Friedliche Revolution" wirkte auf mich von Anfang an befremdlich euphemistisch. Erst mit den immer mehr Zulauf findenden Montagsdemonstrationen gab die Staatsmacht Tag für Tag etwas nach - erwog die SED, den eingesperrten Bürgern Zugeständninisse zu machen.



zum Seitenanfang Der Mauerfall

Am Abend des 9. November schob ich in einem Dresdner Lehrlingswohnheim Nachtwache - damals ein typischer Aussteigerjob, zu dem man keinerlei Qualifikation nachweisen musste. Drei Nächte pro Woche eine ruhige Kugel schieben, ein bisschen auf Einhaltung der Hausordn ung achten und dann die ganze Nacht lesen können - für 400 Ostmark im Monat ein Job, von dem man leben konnte, sofern man außer Büchern keine teuren Hobbys hatte. Als ich an diesem Abend um 22 Uhr zur Ablösung antrat, saßen alle Lehrlinge im Fernsehraum - wir blieben die halbe Nacht vor der Glotze und hörten wiederholt Schabowskis Versprecher, nach seiner Kenntnis gelte die "bedingslose Reisefreiheit ab sofort". West- wie Ost-Berliner nahmen das ernst, drängelten kurz darauf an Grenzübergängen (besonders an der Bornholmer Straße) und tanzten alsbald ausgelassen auf der Mauer beim Brandenburger Tor - skeptisch beäugt von sichtlich verwirrten Soldaten der NVA-Grenztruppen.

Nach meinem Nachtdienst  im Lehrlingswohnheim brauchte ich Schlaf und fuhr daher erst am nachfolgenden Tag, am 11.11., nach Berlin, vor allem um einen alten Dresdner Freund, der seit einem Jahr in Westberlin lebte, zu besuchen. Natürlich kam ich auch an den Schaufenstern des KDW am Ku'damm vorbei - und ich staunte sehr, als sich vor mir, wie von unsichtbarer Hand geführt, die gläserne Eingangstür öffnete. Ich verlief mich in der Stadt, die schon seit zwei Nächten durchzufeiern schien. Der Versuch, meinen alten Freuind aus Dresden zu besuchen blieb erfolglos, denn als angehender Journalist war er selbst auf den Beinen, um Eindrücke dieser unvergesslichen Tage einzufangen.

Da ich meinen Freund nicht antraf und bis spät in die kalte Novembernacht auf den Beinen war, musste ich mich irgendwo aufwärmen und ausruhen. In einer Kneipe sah ich Licht und hörte Begängnis, entschloss mich, den Geiz mit dem gerade erst erworbenen "Begrüßungsgeld" zu überwinden, damit ich mit einem kleinen Bier ein halbes Stündchen in der Kneipe aufhalten könnte. Auch dort war die Stimmung sehr ausgelassen. Offenbar waren noch ander Gäste aus dem Osten hier, um sich auszuruhen. Es dauerte nicht lange und eine leicht bekleidete jeunge Frau setze mich auf meinen Schoß. Es gab damals noch nicht den Begriff "Willkomenskultur", aber ich war naiv genug, das Geschehen so zu deuten. Als mich die etwas überschminkte Frau südostasiatischer Herkunft umgehend fragte, ob ich sie nicht auf einen Drink einladen könnte, lehnte ich begründeter Knausrigkeit ab. Ihr Lächeln verwandelte sich sofort in ein abweisendes Grimmen - und schon saß sie beim nächsten Gast auf dem Schoß. In jeder Ecke der Kneipe hing ein Fernseher, über den Porno-Videos flimmerten. Das ist also der dekadente Westen, dachte ich, der Ossi aus dem Tal der Ahnungslosen. Erst nach und nach kam mir der Gedanke, dass diese Kneipe keine ganz normale Kneipe, sondern ein Etablissement war, in dem außer Durst auch andere männliche Bedürfnisse gestillt werden sollten. Mit einem Satz: Mein erster Ausflug in den Westen endete im Bordell. - Ich zahlte das kleine Bier und spazierte durch die langsam zur Ruhe kommende Stadt ostwärts, um mein müdes Haupt bei Bekannten am Prenzlauer Berg betten zu können. Wo ich in dieser erlebnisreichen Nacht am Ende tatsächlich landete, kann ich nicht mehr erinnern.

zum Seitenanfang Silvester in Paris

Das bei meinem Westberlin-Besuch kassierte "Begrüßungsgeld" von 100 D-Mark reichte für Kleinigkeiten, aber nie und nimmer für eine Reise nach Paris. Ich konnte nicht warten, ich musste trotzdem los. Im Dresdner Hauptbahnhof beabsichtigte ich, Fahrkarten nach Paris - und zurück - zu erwerben. Die Verkäuferin war ratlos, wahrscheinlich hatte sie (ohne Vorlage diverser Sondergenehmigungen) noch nie Fahrkarten verkauft, die über das innerdeutsche Streckennetz hinausreichten. Ossis besuchten ihre Verwandten in Westdeutschland, an weitergehende Reisen war mit dem finanziellen Minimalbudget nicht zu denken. Nach einigem Studieren ihrer Fahrpläne hatte ich dann die vergleichsweise  billigen (und für Ostmark erworbenen) Fahrkarten in der Hand.

Bei einem Zwischenstopp in Freiburg im Breisgau besuchte ich für drei Tage eine Brieffreundin. Durch ihre Vermittlung konnte ich mir als Nachtbetreuer einer AIDS-Patientin noch 50 D-Mark dazu verdienen. Bei der mehr oder weniger im Sterben liegenden jungen Frau lief der Fernseher unentwegt, sie zappte unentwegt von einem Sender zum anderen. Als in einer Reportage aus Rumänien gerade die Verurteilung und Hinrichtung des rümänischen Diktators Nicolae Ceaușescu und seiner Frau übertragen wurde.* Ich bat die um Zerstreuung bemühte Patientin, etwas bei der Übertragung dieser Ereignisse zu bleiben. So kamen wir ins Gespräch - einerseits über mein besonderes Interesse durch meine Herkunft aus dem Osten, anderseits über ihre Krankheit. Sie erklärte mir, sei im Zoo von einem Affen gebissen worden - dabei habe sie sich mit AIDS infiziert.

Ich war Nachtdienste beruflich gewöhnt und habe den gleichen Job in der nächsten Nacht nochmals übernommen. In dieser Nacht ging es ohne Fernseher und Senderzappen an, was ich als erholsam empfand. Doch im Vergleich zur lebhaften Vornacht wurde ich bald stutzig und mir wurde klar, dass mit der jungen Frau etwas nicht stimmte. Schließlich rief ich den Notarzt, der sie nach entsprechender Untersuchung mit ins Krankenhaus nahm. Mein Nachtdienst war nach einer Stunde beendet. Was aus der jungen Frau wurde, habe ich nicht erfahren. Vermutlich gehörte ich zu den wenigen Leuten, die ihre letzten Stunden begleitet hatten.

Für meine Weiterreise nach Frankreich brauchte ich einen bundesdeutschen Reisepass, den hatte ich bereits am Vortag beantragt. Es fehlte nur noch ein Passfoto, das konnte man am Selbsbedienungsautomaten auf dem Bahnhof erledigen. Ich steckte zwei Mark-Münzen in den Automaten und schon blitzte mich der Kasten an. Was dabei herauskam, würde heute nicht mehr als Passfoto durchgehen.
Zudem hatte mein bärtiges Konterfei eine gewisse Ähnlichkeit mit dem des Taliban-Kämpfers, der mit den 9/11-Anschlägen zum prominentesten Terroristen der Welt avancierte. Ich gab mein Foto im Ordnungsamt ab und hatte einige Minuten später einen gültigen Reisepass. So einfach und unkompliziert lief damals alles. Mit dem Pass reiste ich nicht nur nach Frankreich ein, sondern ein Jahr danach über Jugoslawien in die Türkei und nach Griechenland - und ein Jahr später auch in die USA - heute unvorstellbar.
 

Im Zug nach Paris saß ich neben einem Mann meines Alters. Er lud mich zu einer Büchse Bier ein und so kamen wir ins Gespräch. Ich erzählte, dass ich das erste Mal nach Paris fahre, ohne dort jemand zu kennen. Der Nürnberger erklärte mir, er treffe sich in Paris mit einem Freund, der als Saisonarbeiter von der Weinernte im Süden Frankreichs heimkehre und in Paris bereits ein Zimmer gebucht habe. Vielleicht ließe sich in dem einfachen Hotelzimmer noch eine Liege einstellen.

Tatsächlich bot mir das Hotel, mitten im lebhaften Quartier Latin gelegen, die günstige Möglichkeit an - für umgerechnet nur 10 D-Mark pro Nacht. Mit dem verbleibenden Geld konnte ich eine ganze Woche bleiben, mir alle Sehenswürdigkeiten der Stadt ansehen - die historischen Viertel, in denen die französischen Impressionisten am Ende des 19. Jahrhunderts eine neue Epoche der Malerei auslösten. Ich besuchte die bekannten Museen, das Museé d'Orsay und natürllich den Louvre, schlenderte durch Montparnasse und zum Place Pigalle, vorbei am Moulin Rouge, entlang der Champs Elisseés. Mit meinen beiden Zimmerfreunden besuchten wir den Friedhof Père-Lachaise, wo man berühmten Literaten und Musikern huldigen kann - so etwa am Grab von Jim Morrison, wo jemand eine leere Whisky-Flasche stehen ließ. Und in den Silvesterstunden zum neuen Jahr 1990 feierte ich mit einer überschaubaren Anzahl vereinzelter Touristen unter dem Eifelturm.

Trotz des günstigen Quartiers musste ich mir meine begrenzten Geldmittel einteilen - also knauserte ich an allen Ausgaben, die sich vermeiden ließen. Eine in diesem Zusammenhang unvergessliche Episode ereignete sich zum Ende eines Straßenmarktes. Am Rande des Marktes standen einige Leute mit Tüten bereit, die offenbar wussten, dass die Tische mit den bis dahin unverkauften Südfrüchten einfach umgekippt würden. Darauf sammelten die Leute ein, was sie konnten. Ich dachte mir: Was die Clochards von Paris können, kann auch ich. Vielleicht fünf große Apfelsinen sammelte ich ein, ging hinab in eine Metro-Sation, um mich etwas aufzuwärmen, zu sitzen und eine vitamreiche Mahlzeit zu mir zu nehmen. Das beobachtete ein Bettler, der zu mir kam und mich bat, ihm eine Orange abzugeben. Gesagt, getan. Kaum war der arme Mann einige Meter weiter, fragte ihn ein anderer Bettler, woher er die fruchtige Gabe habe. Kurz darauf war auch dieser Bettler bei mir. Und zwei Bettler später hatte nicht einmal zwei Apfelsinen für meine Zimmerfreunde übrig. Aber ich dachte auch: Dank der Bettler schleppe ich jetzt nicht die Tüte mit den riesigen Apfelsinen durch Paris.

 
Mit einem meiner Pariser Zimmerfreunde traf ich mich später noch in Dresden, wir schrieben uns noch einige Jahre. Wenn ich die Zeilen heute lese, wird mir bewusst, was für andere Zeiten das damals waren: kein Internet, keine Handys. Man schrieb noch Postkarten. Die Briefe aus Südfrankreich brauchten eine Woche oder länger. Päckchen kosteten weniger als Bücher - wir schickten uns gegenseitig die gelesenen Bücher, tauschten Sartre gegen Camus. Ich wüsste zu gern, wo und ob der rastlose Wandersmann irgendwann jenen ersehnten Ort gefunden hat, nach dem er damals auf der Suche war.



zum Seitenanfang Sommer in Griechenland


1990, im ersten Sommer nach dem Mauerfall, reiste ich zu einem weiteren Sehnsuchtsziel meiner Jugend, zu den Orten des antiken Griechenlands, über das ich - bis dahin - nur lesen konnte. Zwei Freundinnen aus Berlin schlossen sich meinem Reiseziel an. Mit Bussen ging es durchs damalige Jugoslawien in die Türkei, nach Istanbul, und an der kleinasiatischen Küste zum vermeintlichen Palasthügel (Hisarlık Tepe) des antiken Königs Priamos aus dem homerischen Epos Ilias.
 

 
Nach dem Besuch der historischen Stätten von Ephesos blieb eine der beiden jungen Berlinerinnen in der Türkei. Mich und die andere Mitreisende brachten Fähren über die ägäischen Inseln Samos, Ikaria, Naxos, San Torini nach Athen. Wie sich im Verlaufe der Weiterreise herausstellte, konnte meine Begleiterin weder mit Geld noch mit gesundem Menschenverstand umgehen...

Da ich mich darauf eingelassen hatte, bei der gemeinsamen Reise gemeinsame Kasse zu machen, wurde ihr Verlust besonders mein Verlust. Schließlich reichte das Geld für nichts mehr - nicht einmal für eine Übernachtung auf dem Zeltplatzt. Letztlich verkaufte ich also mein Zelt, um für uns beide wenigstens noch das Fährgeld nach Athen bezahlen zu können. Von dort ging es per Anhalter heimwärts. Aber: In Athen bei über 40° an der Autobahn stehen, ist auch nicht besonders vergnüglich - um so weniger, wenn dann zwar endlich jemand anhält, aber die Freundin nicht mehr auffindbar ist. Sie hatte sich in den Schatten eines Wäldchens zurückgezogen - weil es ihr "so heiß" war... Von da an beschloss ich, künftig besser allein zu verreisen. Leider war ich nicht konsequent, das musste ich noch lernen.



zum Seitenanfang Per Anhalter durch die USA


1991 ging es dann tatsächlich allein auf große Reise - kreuz und quer und rings um die USA.Mit einem Budget von 11 $ pro Tag trampte ich drei Monate von einer Wolkenkratzer-Metropole zu nächsten, von New York nach, Chicago, San Francicsco, Los Angeles, Las Vegas, San Antonio, New Orleans, Nashville. Einige der Nationalparks lagen auch auf meinem Weg: Yellow Stone, Grand Canyon, Brice Canyon.

 
Brice Canyon

Für einen ersten Überblick im Land meiner Jugendträume begnügte ich mich mit einer knapp dreimonatigen Tramptour. Ein Nachschlag folgte zwei Jahre später in Gestalt einer Reise durch die Südstaaten, mit halb so viel Zeit aber etwas mehr Budget.


zum Seitenanfang Exkursion nach Orissa


Im Rahmen meines Ethnologie-Studiums an der FU Berlin unternahm ich im Januar 1994 eine selbst organisierte Exkursion zu den Ureinwohnern Mittelindiens - ich erlebte den Alltag der Didayi und einiger benachbarter Stämme in den entlegenen Bergen von Orissa. Damals hatte ich noch keine Ukulele, aber der Klang der kleine Gitarre, die ich dabei hatte, schien meinen Zuhörern zu gefallen. Jedenfalls gaben sie einem Baby, das in den Tagen meines Aufenthaltes geboren wurde, den Namen Alexander.
 

Eigentlich war ich mit der Idee aufgebrochen, etwas über den kulturell verschiedenen Umgang mit Zeitabschnitten zu erforschen - keine grundsätzlich neue Idee. Jeder Tourist erfährt in den Ländern des Südens: Dort ticken die Uhren langsamer. Ich machte in dieser Hinsicht tatsächlich mehr interessante Erfahrungen, als ich erwartet hatte. Doch schon nach meiner Landung im von riesigen Slums gesäumten Kalkutta und während meiner Bahnfahrt nach Bhubaneshwar im östlichen Mittelindien wurde mir langsam klar, dass der mich am dortigen Bahnhof empfangende Professor aus der Utkal-Universität mit seinem lapidaren Satz "You have a culture shock" wusste, wie fremd mir das Land an diesem erste Reisetag vorkam. Das Thema meiner Magisterarbeit wurde somit "Tropische Stationen - Zum Phänomen des Kulturschocks".


zum Seitenanfang Zurück in die Heimat. Auf nach Ukulelestan!

Zum Ende des Jahres 2000 zog ich nach zehn Jahren in Berlin zurück in meine Heimat nach Dresden. Nach einer einjährigen Weiterbildung zum Zeitschriftenredakteur und anschließend zwei Monaten als Vertreter eines Weinhändlers gelang es mir, meinen bescheidenen Lebensunterhalt mit einem Instrument namens Ukulele zu verdienen. Meine Wohnung und Umgebung nannte ich bald darauf Ukulelestan - das kleine Reich der Ukulele. Bis dahin kannte hierzulande kaum jemand das exotische Instrument. Ab Mitte 2003 erregte der kleine Viersaiter dank meiner eigenen Aktivitäten zunehmende Aufmerksamkeit in der Nachbarschaft. Eine Zeitlang übte in jedem Haus meiner Nachbarschaft jemand Ukulele - erst kamen die Kinder zu mir, dann die Muttis oder Vatis, schließlich auch die Omas oder Opas. Ab 2006 gab es YouTube, was zur globalen Popularisierung der Ukulele beitrug. Im Fernsehen sah man plötzlich erstmals ein Ensemble namens Ukulele Orchestra of Great Britain, später gar in der Dresdner Semperoper. Was ist schon Großbritannien! Anlässlich eines erstens Auftritts meiner Schüler gründet ich 2005 das Ukulele Orchester Laubegast. Nach Auftritten beim eigens dazu initiierten Maifest am Laubegaster sowie beim beliebten Elbhangfest und beim Stadtfest wusste bald jeder Dresdner, wo in Laubegast die Ukulele hängt.

Ab etwa 2010 sprangen mehr oder weniger gut vorbereitete private Musiklehrer aufs Trittbrett der Ukulele auf. Bei Aldi und Lidl lagen plötzlich billige Imitate "made in China" - im Spielzeugregal, die sich dann unter manchem Weihnachtsbaum wiederfanden und nach ersten Probierterminen bei mir gegen hochwertige Instrumente ausgetauscht werden mssten... Die lokale Presse besuchte mich mehrfach, Radio- und TV-Reporter bekamen das fröhliche Treiben mit. Zu dem Zeitpunkt hatte ich den Mitbewerbern in Sachen Ukulele-Unterricht allerdings einige Nasenlängen voraus. Es dauert nicht lange und die vom Gruppenunterricht an der Volkshochschule enttäuschten Enthusiasten landeten ebenfalls noch bei mir. Mein anfänglich zweites Standbein wurde zum ersten. Mit meinen Schülern trat ich über einige Jahre als Ukulele Orchester Laubegast auf. Manchmal waren wir zwei Duzend Leute auf der Bühne, überwiegend Kinder ab 7 Jahren, aber auch einige Senioren über 70 - unübersehbar, unüberhörbar. Nach und nach sind wir in sämtlichen Kirchen der Umgebung aufgetreten, von der Laubegaster Kirche bis zur Pillnitzer Weinbergkirche ließen wir kaum eine Gelegenheit aus.

Alles hat seine Zeit... Ab 2020 besorgten die Lockdowns der Corona-Pandemie die Unmöglichkeit weiterer Auftritte mit meinen Schülern. Fortan konzentrierte ich meine Künste auf den Unterricht. Auf die Bilanz zu all den Jahren bin ich nicht ganz ohne Stolz: Einige Kinder besuchten meine Ukulele-Stunden durch ihre gesamte Schulzeit, teils 12 Jahre lang. Einer meiner erwachsenen Schüler ist seit über 20 Jahren dabei.

 
Mittlerweile bin ich - wie einige meiner ersten Ukulelen - Altersrentner, darf mich aber über verbliebene Schüler wie über gelegentliche Besuche einstiger Schüler oder deren Eltern freuen. Fazit: Die Ukulele, die ich erstmals 1999 in meinen Jahren in Berlin in die Hand bekam und die mit den Jahren einiges an jüngerer Ukulelen-Gesellschaft erhielt, hat mein Leben mehr als vieles andere geprägt. Möge mich das kleine Instrument begleiten, so lange es mir vergönnt ist.
































Fußnoten

* Eine substantielle Zusammenfassung der historischen Zusammenhänge in der Regierungszeit Gorbatschows enthält der rechts beigefügte Video-Podcast.