Oktober 2018 - man muss auch mal Glück haben. Meine dreirädrige Reisesänfte kommt nach elf Wochen im Werkstattmodus zurück zu ihrem Besitzer - zwei Tage vor Beginn der Herbstferien... Die Wetter-App zeigt für die nächsten 10 Tage Sonnenschein pur. Ein Meteorologe erklärt die ungewöhnlichen sonnigen Aussichten mit zwei stabilen Hochdruckgebieten, eines im Südwesten, eines im Nordosten Europas - zwischen diesen beiden Hochs könne sich eine Art Schönwetterdiagonale bilden, welche es nordatlantischen Tiefs erschwere, nach Mitteleuropa vorzudringen. Es könnte aber auch ganz anders kommen... Ich bin optimistisch und rechiere nach Unterkünften. Frau Komoot hilft mir wieder beim detailierten Planen der Strecke. Ziel meiner Reise ist - neben dem ausdauernden Radeln durch frische Herbstluft - der Besuch von Freunden in der Uckermark.
In aller Radlersfrühe mache ich mich in die Pedalen. Denn die erste Etappe ist lang und die Tage sind kurz geworden - es bleiben 10 Stunden bei Tageslicht, ab 18 Uhr wird es duster. Als ich an der Anlegestelle der Elbfähre warte, erklimmt die Morgensonne die Elhänge. Graue Nebel wallen - ein Naturschauspiel der leisen Art belohnt den Frühaufsteher.
Das Frühstück hole ich am Haarweiden-Stausee in der Dresdner Heide nach - der größte Anstieg des Tages liegt damit schon hinter mir. Mein Schal dient als Tischdeckchen - etwas Stil muss sein! Dafür geht es auch mal ohne Kaffee. Aber Kohlenhydrate, Eiweiß und Vitamine gehören zur Minimaldiät jeder Radwanderung. Zu meiner Überraschung höre ich trotz des dichten Waldes, der mich seit einigen Kilometern umgibt, noch immer das Grundrauschen der Zivilisation - der Wind trägt den Lärm des morgendlichen Berufsverkehrs bis in die Heide.
Die Idylle des Schwanenballetts täuscht nicht darüber hinweg, dass die meisten Seen der Niederlausitz Relikte des Braunkohletagebaus sind. Trotz Energiewende und CO2-Problematik wühlen sich noch immer gigantische Bagger durch Wälder und Heide, auch Dörfer sind weiterhin vom Abriss bedroht - nach wie vor müssen Einwohner um den Erhalt ihrer Heimat bangen. Die amtierenden Volksvertreter argumentieren mit dem Erhalt von Arbeitsplätzen...
Gegen Mittag erreiche ich Thiendorf im Westen der Königsbrücker Heide, Klärchen hat die Luft auf 22 Grad erwärmt. Tische und Stühle vor dem Gasthof Thiendorf laden zur Mittagspause ein. Der Eingang wird von einem Relief gekrönt, das schöne Motto Zum Treuen Freund erinnert mich einmal mehr an das Ziel meiner Reise.
Ich setze mich an den letzten freien Tisch, am Nebentisch plaudern drei junge Frauen miteinander, einige Handys lösen bei jedem Anruf eine kleine Diskothek aus, unterschiedlich lautstarke Säuglinge versuchen auf ihr Dasein hinzuweisen. Die Mütter sind bemüht, die kleinen Nervensägen zu beruhigen - mit unterschiedlich anhaltenden Erfolgen. Ein schwerbepackter Radler meines Alters pedaliert vorbei - ich bin nicht der einzige Herbstradler.
Kurz vor Sonnenuntergang erreiche ich Fürstlich Drehna und drehe gleich eine Runde durch den Schlosspark. Dann werfe ich einen Blick ins Innere des zum schicken Hotel umfunktionierten Anwesens. Ich kümmere mich gleich um Sie, sagt die Kellnerin, als ich mich dem Eingang des Restaurants nähere. Doch ich bin es gewohnt, dass man mich ansieht, bevor man sich um mich kümmern will - also verlasse ich die noble Herberge umgehend.
Mein Quartier befindet sich im Gasthaus zum Hirsch - hier hatte ich bereits bei meiner Frühlingsrunde Mitte Mai übernachtet und weiß, woran ich bin. Während ich am Eingang das Formular ausfülle, spricht mich ein Gast des Schlosshotels an: Ein Tisch für drei Personen bitte... Nicht schlecht - selbst in den Cargohosen meiner Radlergarderobe wirke ich wie der Chefkellner. Zur Belohnung der ersten 115 Kilometer stille ich meinen Radlerdurst mit einem Bierchen aus der Schlossbrauerei.
2. Etappe
Fürstlich Drehna > Lübben > Beeskow
Vor der Weiterfahrt drehe ich nochmals eine Runde zum Schlosspark, jetzt mit der Lichflut der Morgensonne. Nach der außergewöhlichen Trockenheit dieses Sommers reichten wenige Regentage, frühlingshaftes Grün in Wiesen und Wäldern zurückzubringen. Doch intensive herbstliche Farbtupfer sind auch nicht mehr zu übersehen. Ein Gast des Schlosshotels wundert sich, dass seine unter einer Kastanie geparkte Limousine ein paar Kratzer am Lack erlitten hat...
Am Lichtenauer See erläutert eine Infotafel, wie man gedenkt, das nach dem Braunkohleabbau in der gefluteten Grube übersäuerte Gewässer zu neutralisieren. Mittels des Sanierungsschiffs Barbara wurden demnach seit 2012 Hunderttausende Tonnen Kalksteinmehl und Kalkhydrat in den "Wasserkörper" gemengt, um einen ökologisch unbedenklichen Zustand zu erreichen - dieser Prozess scheint im Jahre 2018 offenkundig nicht abgeschlossen zu sein.
Ich nähere mich dem Biosphärenreservat Spreewald mit seinen weitverzweigten Netz aus Kanälen und Nebenarmen der Spree - im Sommer dürfte es in dieser von Mooren und träge fließenden Gewässern geprägten Landschaft von Mücken nur so wimmeln - und von Menschen, die glauben, die berühmten Spreewälder Gurken vom hiesigen Souvenirstand schmeckten besser als die vom Supermarkt um die Ecke...
In Lübben befinde ich mich im touristischen Herzen des Spreewaldes. Paddelboote und Ausflugskähne schunkeln umher - letzere wurden einst durchs flache Gewässer der Spree gestakt wie venezianische Gondeln, doch inzwischen wich die Nostalgie der Bequemlichkeit, die Gemächlichkeit der Betriebsamkeit, das leise Plätschern dem Motorengeknatter. An einem Donnerstag in der spätherbstlichen Nebensaison bleibt der Andrang allerdings erträglichen
Butter für schlechte Zeiten
In einem Lübbener Supermarkt erwerbe ich eine Flasche Wasser. Als ich sie dann an meinem Rad befestige, wird ein alter Mann auf mein Gefährt aufmerksam und fragt mich aus - und erzählt mir von denm Besonderheiten seines eigenen Fahrrades. Ich staune, weil er 10 Päckchen irische Butter eingekauft hat - was macht man mit so viel Butter? Einfrieren, antwortet er. Für schlechtere Zeiten, frage ich. Schließlich erzählt er mir, dass
ihn seine einstige Frau nach 36 Jahren Ehe verlassen habe, indem sie sein Konto leergeräumt und mit zig Tausend Euro zu einem anderen Mann abgehauen sei. Als der neue Kerl ihrer überdrüssig wurde, habe sie wieder zurückkommen wollen. Aber so blöd sei er natürlich nicht gewesen... Seltsam, eine beinahe gleiche Geschichte hatte ich erst unlängst bei einer Tagesradelei gehört - kommt sowas öfters vor? Wahrscheinlich.
Gegen drei komme ich durchs Dörfchen Trebatsch, wo eine Graphik an den hier gebürtigen Naturforscher Ludwig Eichhardt erinnert. Der Expedizionsreisende in Sachen Geologie, Zoologie, Botanik machte sich einen Namen als Entdecker des zu seinen Lebzeiten noch unerforschten Nordens Australiens. Von seiner dritten Expedition in die unbekannte Wildnis des Kontinents, die bereits eine Wiederholung seiner gescheiterten 2. Expedition war, kehrte keiner der Teilnehmer zurück - spätere Suchexpeditionen blieben erfolglos. Seit dem ranken sich Legenden um den im jungen Alter von 35 Jahren verschollenen Mann - der sogenannte Leichhardt-Trail, ein 54 Kilometer langer Wanderweg, der von seinem Geburtsort ausgehend südwärts am Schwielochsee entlang führt und durch die Lieberoser Heide und den Spreewald bis zu seinem einstigen Gymnasium in Cottbus, hält sein Andenken in Ehren.
Auf den asphaltierten Radwegen, fernab der Straßen und Städte, bemerke ich ein leises Klickgeräusch am rechten Vorderrad - ein Sandkörnchen in der Mechanik der Scheibenbremse könnte die Ursache sein. Um vier erreiche ich die brandenburgische Kleinstadt Beeskow, wo ich als erstes einen Radladen mit Werkstatt zu finden versuche. Leider hat der in der Nähe des Marktplatzes gefundene Laden gerade in dieser Woche Urlaub. Ein Rentnerpärchen, das auf einer Bank ausruht, verrät mir, dass es noch einen anderen Laden gibt und wie ich dahin komme.
Das Lädchen ist so dicht mit Rädern und Ersatzteilen bestückt, dass kaum ein Gang zur kleinen Verkaufstheke im hinteren Teil bleibt. Und obgleich es auch an Kundschaft nicht mangelt, behält der Inhaber die Gelassenheit, sich zwischendurch auch meinem Anliegen zu widmen - er greift zum Inbusschlüssel und stellt die Bremsklötzer so nach, dass die kleine Unwucht der Bremsscheibe, die das Geräusch verursacht nicht mehr klicken kann. Nach einer Proberunde wird noch etwas nachgestellt - und der schnelle Service geht aufs Haus! Irgendwann ziehe ich auch in eine Kleinstadt - da gibt es nicht alles, aber dafür mehr Freundlichkeit.
Vom Hotelzimmer der kleinen Stadt überblicke ich den Marktplatz, der bereits im frühabendlichen Schatten liegt. Ein von irgendwelchen Substanzen umnebelter älterer Mann afrikanischer Herkunft führt lautstarke Selbstgespräche und gestikuliert wild umher, zwei junge Nordafrikaner teilen sich ein Sixpack Bier, zwei junge einheimische Mädchen posieren mit ihren Handys - und mehr ist auf dem zentralen Platz des Städtchens um diese Zeit auch nicht mehr los.
Als ich kurz nach einer kleinen Runde durchs Städtchen bei Einbruch der Dunkelheit ins Hotel zurückkehre, verstehe ich, weshalb die hübsche junge Kellnerin mit dem pechschwarzen Haar auf meine Frage nach einem Musik-Pub nur schmunzeln konnte. Natürlich, ich bin ja nicht in Irland, wo es fast in jedem Dorf ein Pub und Musiker gibt, die sich dort treffen. Ich bin in der ostdeutschen Provinz - hier treffen sich abends ein paar junge Leute auf der Straße. Wer es von ihnen zu etwas Geld gebacht hat, kurvt in getunten Kleinwagen durch die engen Straßen der Kleinstadt, lässt die Motoren aufheulen und Bremsen quietschen - erfreulicherweise hält dieser ewige Schrei nach Aufmerksamkeit nicht den ganzen Abend an.
3. Etappe
Beeskow > Groß Neuendorf > Gellmersdorf
Da es im Beeskower Hotel zum Schwan schon ab 7 Uhr Frühstück gab, konnte der Radler zeitig in die Spur. Meine himmliche Freundin, Frau Komoot, führt mich zunächst durch Felder und Wälder. Auch die Kutschen von Königen und anderen erlauchten Jägersleuten dürften auf den geplasterten Wegen, die mich und meine Sänfte gerade durchschütteln, schon unterwegs gewesen sein - Kompanien preußischer Soldaten mit Sicherheit auch. Jedenfalls soll es ein kurfürstlicher Jäger anno 1696 hier einen so kolossalen Hirsch erlegt haben, dass der einstige Kurfürst und spätere erste Preußenkönig Friedrich seine Ruhmestat standesgemäß verewigen ließ - also mit einem einige Meter hohen Gedenkstein, damit der Rest der Welt weiß, wer hier einst einen 66-Ender mit eigenen Händen geschossen...
Diesen Hirsch hat in der
Brunst-Zeit mit eigener Hand
geschossen der Durchlauchtigste
Großmächtigste Fürst und Herr
Herr Friedrich der Dritte
Markgraf und Kurfürst
zu
Brandenburg im Amte
Biegen auf der Jacobsdorff-
chen Heide am 18. September
anno 1996 hat gewogen fünf
Zentner 35 Pfund, nach-
dem er schon
3 Wochen geschrien
Drei Jahrzehnte nach der weidmännischen Schießerei begehrte ein anderer prunksüchiger und tierquälerisch veranlagter Monarch die Jagdtrophäe des 66-Enders. August der Starke, der nicht das erste Mal ganze Kompanien von Soldaten ans Preußische Königshaus verschenkt hatte, bot dem inzwischen amtierenden Soldatenkönig eine Spezialeinheit Grenadiere - die sogenannten Langen Kerls als Gegenwert, um das Geweih in seinem Moritzburger Jagdschloss zur Schau stellen zu können. Und da soll es noch heute hängen und von Jägern bewundert werden.
Ich folge also ganz zufällig historischen Pfaden - Fürsten und Könige, kurze und lange Kerls zogen über die gepflasterten Wege, nicht nur zum Tausch von Jagdtropäen gegen Rekruten. Einige Meilen weiter spiegelt sich der Himmel in einem länglichen See - im 14. Jahrhundert gründeten hier Mönche eine Mühle, lebten von Fischfang und Jagd. Der so idyllisch gelegene Ort namens Klostermühle wurde 1945 enteignet und später in ein Erholungsheim für Stasi-Mitarbeiter umfunktioniert. Eines muss man Mönchen und Stasi-Bossen lassen - sie wissen sehr gut , wo man nach getaner Arbeit Kontemplation finden kann.
Die Suppe mundet gar köstlich
Auch dem Alten Fritz soll es hier gefallen haben - auf der Heimreise von einer Schlacht soll er hier eingekehrt sein und wird seither mit dem königlichen Satz "Die Suppe mundet gar köstlich" zitiert. Dass es bei derSuppe geblieben sein soll, darf bezweifelt werden - bisweilen sind schmeichelhafte Kommentare zur Vorspeise zweideutig.
Und heute? "Heute bietet das Gelände am Madlitzer See unter dem Namen Gut Klostermühle Erholungssuchenden ein First-Class-Refugium" - so steht es auf einer Info-Tafel. Na, schön - dann ist ja alles beim Alten geblieben. Ich verzichte aufs Süppchen, spare den Refugiumspreis und pedaliere auf teils sandigen Wegen um den See, bis ich gegen 11 ein lauschiges Plätzchen für ein Frühstück im Freien finde. Statt mit First-Class-Refugiumskaffee spüle ich mit Mineralwasser nach.
Von vereinzelten Spaziergängern abgesehen ist an diesem Madlitzer See wenig Begängnis. Auf der Terasse einer einsamen Hütte ließe sich der Abend genießen: eine Ukulele, ein Gläschen Wein, was braucht es mehr, um fröhlich zu sein... Ich versuche mir vorzustellen, welch herrliche Ruhe hier in der Nacht herrschen mag. Vielleicht hört man einen verirrten Wolf heulen, vielleicht aber auch die Party vom First-Class-Refugium.
Bei Groß Neuendorf treffe ich ans Ufer der Oder - die sich weitende Auenlandschaft des Oderbruchs, die schilfbewachsenen Ufer, die abgestorbenen Bäume im weiten Flussbett haben es mir sofort angetan.
Kein Schiff und kein Boot schneidet durch den Fluss, nur das Surren meines Leerlaufs ist zu hören - ich halte an, der Weite des Landes zu lauschen. Ein Angler wirft hier und da seine Rute aus - an beiden Ufen des Grenzflusses. Die tief im Westen hängende Abendsonne färbt das Laub an den Waldhängen der polnischen Flusseite in satte Ockertöne - gelb, braun, rot schimmert der Herbst.
Bei Hohensaaten bekommt die Oder Gesellschaft von der Wriezener Oder, einem Nebenarm des Flusses, der zu einer Wasserstraße mit Schleuse ausgebaut ist - der Radweg führt einige Kilometer zwischen beiden Flussläufen entlang. Bei Stolzenhagen biege ich westwärts ab, einige Hügel der märkischen Endmoränenlandschaft sind zu überqueren, im waldigen Bergschatten stürzt die Temperatur um gefühlte zehn Grad ab, doch die Anstiege halten mich warm, die einst gepflasterten Wege sind zu einem schwer befahrbaren Zustand verfallen. Hinter den Hügeln blicke ich bereits ins gleißende Rot des Sonnenuntergangs. Um vor Einbruch der Dunkelheit das Haus meiner Freunde bei Gellmersdorf zu erreichen, darf ich mich vom Zauber des Abenlichtes nicht aufhalten lassen.
Jörg und Astrid sind nur eine halbe Stunde vor mir in ihrem Wochenend-Domizil eingetroffen - wir haben uns sieben Jahre nicht gesehen, es gibt einiges zu erzählen. Bis Mitternacht ist der Krug mit dem Rotwein einmal nachgefüllt - und noch einmal geleert.
Ich bin schon beim Zähneputzen, als meine Freunde den Vorschlag machen, meine morgige Fahrt nach Funkenhagen, wo ich meinen schwer erkrankten Musikfreund Nick besuchen möchte, mit mir zu teilen - nicht auf bespeichten Rädern, sondern mit ihrem Auto. Das Angebot nehme ich gern an, denn die jeweils gut 60 Kilometer für den Hin- und Rückweg sind in dieser Jahreszeit kaum bei Tageslicht zu schaffen. Auf diese Weise stehe ich nicht unter Zeitdruck und es bliebe auch etwas Zeit für die Sehenswürdigkeiten des Boitzenburger Landes.
4. Etappe
Gellmersdorf > Funkenhagen > Gellmersdorf
Auch wenn es abends mal etwas später wird, meine innere Uhr hat sich bei Radreisen aufs frühe Aufwachen eingestellt. Ohne das Angebot meiner Freunde wäre ich heute in aller Radlersfrühe losgeradelt - bei Sonnenaufgang. Da meine Gastgeber noch in den Federn liegen, schleiche ich mich auf Zehenspitzen aus dem Dachkämmerchen und die Holztreppe des alten Bauernhauses hinunter. Leise öffne ich die Tür und schon bin ich in der Frische des Morgens. Die aufgehende Sonne schickt ihre ersten schwachen Strahlen über die Flur.
Am Rand eines Feldes warten die bereits in Position gebrachten schwarzen Rohre der politisch und ökologisch umstrittenen Gazprom-Pipeline auf Baugenehmigungen, als seien Baugenehmigungen nur eine Frage der Zeit, aber niemals des Ob-Überhaupt... Auf den benachbarten Feldern warten Gruppen von Windgeneratoren auf den ersten Luftzug des Tages. Ich spaziere durch den Garten, in dem die Morgensonne bei einem Apfelbaum ihr erstes Spielchen mit Licht und Schatten treibt.
Wäre ich heute mit dem Rad unterwegs, könnte ich wieder und wieder darüber nachdenken, was ich meinem seit einigen Jahren an den Rollstuhl gefesselten Musikfreund Nick erzählen könnte. Vielleicht ist es aber auch besser, dass ich in Gesellschaft fahre und dadurch Zerstreuung habe. Was immer ich in der Begegnung mit Nick sagen kann, wird ein Monolog sein, denn Nick kann infolge seiner Erkrankung nicht mehr anworten. Eine solche Erfahrung habe ich noch nie gemacht - aber ich komme zu dem Schluss: am Ende zählen nicht Worte und Gesagtes, sondern die Momente des Wiedersehens - das Erinnern und Innehalten.
In Funkenhagen zeige ich meinen Freunden den Weg zum Mellensee, der an einem Apfelbaum voller knallroter Äpfel abzweigt. Den Besuch bei Nick mache ich allein. Der Pfleger, dem mein Besuch angekündigt ist, öffnet mir die Tür. Als er den Rollstuhl, der eher eine Rollliege ist, auf die Terrasse schiebt, scheint mich Nick wahrzunehmen - er blickt zu mir, ich nehme seine Hand zwischen meine Hände und begrüße ihn auf diese Weise. Vielleicht haben sich Nicks Arme allein durch die Erschütterungen auf der Schwelle zur Terasse ein wenig bewegt, vielleicht aber auch durch die innere Erregung, als er mich erkannte - ich werde es nie erfahren, denn Nick kann nicht mehr sprechen.
Infolge einer fortgeschrittenen atypischen Parkinson-Erkrankung kann Nick mir weder antworten noch anderweitig reagieren - das ist eine sehr ungewohnte Situation für mich. Vor kleinerem oder größerem Publikum aufzutreten ist für mich nichts Neues - Rampenlicht und Mikrofone lösen in mir keine Aufregung aus. Aber einen Monolg vor einem Freund zu halten, der nicht antworten kann, einem Freund, der meinem musikalischen Lebenswandel wie kein anderer geprägt hat, ist etwas gänzlich Anderes.
In den 90ern, als ich in Berlin lebte, waren wir oft musikalisch on the road - wenn ich mich nicht ums Organisatorische der Gigs in den Pubs zwischen Thüringen und Sachsen kümmerte, lernte ich von New York Nick, so sein damaliger Künstlername, die Gitarrenwerke der frühen Bluesmeister kennen - allen voran die legendären Songs von Robert Johnson, die Nick in virtuoser Weise vortrug. Die Berliner Jahre, die ich zunächst dem Studentenleben widmete, prägten meinen weiteren Lebensweg - statt Akademiker wurde ich Musiker.
Und jetzt stehe ich hier und bin so sprachlos. Wenn ich eine halbe Minute schweige, fallen Nick die leicht geöffneten Augen zu. Sobald ich aber rede, öffnen sich seine Augenlider ein wenig und er blickt mir direkt in meine Augen - mit der gleichen Schärfe wie einst. Das Einzige, was ich hier und heute tun kann, ist einem alten kranken Freund zeigen, dass ich ihn nicht vergessen habe. Zum Abschied greife ich wieder Nicks Hand - und ich sage, dass ich im nächsten Jahr wieder kommen möchte - im Sommer, mit etwas mehr Zeit.
Am Weg zum nahen Mellensee steht ein junger Apfelbaum mit knallroten Äpfeln - ich setze mich auf die Bank daneben und während ich auf Jörg und Astrid warte, hänge ich meinen Erinnerungen an die Berliner Jahre nach. Am meisten beschäftigt mich die Frage, wie Nick meinen Besuch wahrgenommen haben wird - und mir ist klar: Ich werde es wohl nie erfahren.
Als meine Freunde von ihrem Spaziergang zurück sind, kommt mir die Idee, die kleine Waldkapelle am anderen Ufer des Sees aufzusuchen, wo Nick seine langjährige Freundin Anke vor sieben Jahren heiratete. Da Anke heute auswärts zu arbeiten hat, konnte ich sie leider nicht wiedersehen, nicht fragen, wie sie all die Arbeit bewältigt, die allein schon mit Haus und Garten verbunden ist, vor allem aber mit der Krankenpflege, die sie zuhause wie auch hauptberuflich ausübt.
Der Weg zur Waldkapelle führt um den Mellensee herum - zuerst fahren wir an dem im Wäldchen vertseckten Ort vorbei. Im nächsten Dorf erkundige ich mich bei Einheimischen, dann finden wir den Weg. Nach einem kleinen Spaziergang durch den Herbstwald stehen wir vor dem romantischen Friedhof, der die nur noch zu Hochzeiten geöffnete Kapelle umgibt. Zur damaligen Trauung zupfte ich auf den Saiten einer neuen Ukulele ein fandangoartiges Instrumentalstück. Bei der abendlichen Hochzeitsparty gaben auch all die anderen Musikfreunde aus unserer Berliner Zeit ihr Ständchen. Nick selbst griff an diesem Abend kein einziges Mal zur Gitarre, das machte mich etwas stutzig.
Während meine Gellmersdorfer Freunde noch ein Bad im oktoberkalten Mellensee nehmen, greife ich zu meiner Mundharmonika und versuche, die wehmütigen Gedanken mit ein paar Melodien zu zerstreuen. Seltsamerweise kommt mir ein Lied aus einem Western in den Sinn, das ich noch nie probiert hatte - beim Probieren fällt mir die bärentiefe Stimme des Sängers, aber nicht der Titel ein. Als ich Jörg frage, ob er das Lied erkannt habe, antwortet er sofort: I was born under a wandering star...
Der Wunsch, in der Klostermühle bei Boitzenburg einzukehren, ist Konsens, doch zunächst ziehen uns die Ruinen des einstigen Zisterzienserinnenklosters an, das im 30-jährigen Krieg zerstört wurde. An der Eingangstür der Gaststätte klebt ein amtliches Siegel, das erst zwei oder drei Tage alt ist - der Grund der amtlich besiegelten Schließung ließe sich wahrscheinlich im kleinen Mühlenmuseum erfragen. Aber davon wird man auch nicht satt.
Statt Gaumenfreuden bietet der Abstecher dem Auge jede Menge Romantik - die Überbleibsel von Anlagen der alten Wassermühle, Fachwerkgemäuer und die hinter Bäumen versteckten Ruinen sind eine unerwartete Zugabe dieses Bilderbuch-Herbstnachmittags. Dennoch knurrt jetzt nicht nur ein Magen - und es dürsten mehrere Zungen, die meine inzwischen nach dem schäumenden Gerstengetränk aus dem wehmütigen Herbstlied vom gelben Wagen. Was der Ausflühler begehrt, findet sich schließlich im einstigen Marstall des Boitzenburger Schlosses, das zum Selbsbedienungscafé mit Biergarten umgebaut ist. Der anschließende Besuch des Schlossparkes ist eine weitere Zugabe dieses goldenen Herbstnachmittags.
Auch hier zaubert die gnädige Abendsonne ein unbeschreiblich reizvolles Wechselspiel von Licht und Schatten. Im Laufe der Jahrhunderte erhielten der Park und das Schloss zahlreiche Erweiterungen, Kriege und Nachkriegszeiten hinterließen ihre Spuren - die Nationale Volksarmee nutzte das prächtige Anwesen als Erholungsheim... Und weil es danach wohl niemand mehr haben wollte, ging es - wie so manches sonst - für eine "symbolische Mark" an einen Investor aus dem Westen...
Für eine Mark hätte ich es auch genommen... Aber solche Angebote werden wohl nicht an Normalsterbliche gemacht. Die Restaurierung und der Ausbau zur Jugend- und Familienherberge erfolgte mit zig Millonen an Fördergeldern, von denen sich der "Investor" aus Hamburg, so lese ich in der Wikipedia, einige Milliönchen für andere Zwecke abgezwackt haben soll - anstatt die seinen zu investieren. Dass es in diesen prachtvollen Gemäuern 350 Betten zu Jugendherbergspreisen geben soll, ist eine gute Nachricht für alle, die in Sälen mit Doppelstockbetten schlafen können.
Wir verlassen die schönste Jungendherberge der Welt und fahren bald darauf durch die kleine Stadt Angermünde, die ich von einer anderen Hochzeit kenne, zurück nach Gellmersdorf, wo sich die Chefin des Hauses unverzüglich ans Kochen macht. Eine Stunde später stehen dampfende Kartoffeln und als Paprikaschoten verkleidete Klopse auf dem Küchentisch. Zwei Krüge Rotwein runden diesen sonnigen Herbsttag ab - doch bevor ich in der kleinen Dachkammer im Schlaf versinke, drehen mir noch viele Gedanken an meinen alten Freund Nick durch den Kopf... Der Lauf eines jeden Lebens ist von so vielen selbst gesuchten, aber auch von Umständen bestimmt, die sich niemand vorstellen kann. Wenn ich mir das klar mache, wird vieles, "was uns groß und wichtig erscheint, plötzlich nichtig und klein"...
5. Etappe
Gellmersdorf > Groß Neuendorf > Frankfurt (Oder)
Sonntagmorgen. Einmal mehr mache ich mich in aller Radlersfrühe auf den Weg, denn heute liegen wieder gut 100 Kilometer Kurbelei vor mir. Noch bevor das Sonnenlicht die Straße erreicht, bremst mich der Anblick mobiler Piepmatz-Immobilien aus, dann gleich daneben die unerhörte Behauptung, ein Leben ohne Havaneser sei möglich, aber sinnlos... Ganz besonders hält mich jedoch der sehr holprige Weg zwischen Gellmersdorf und Stolzenhagen auf. Und immer wieder die Magie des Morgens.
Über den taunassen Wiesen liegen noch vereinzelte Nebelschwaden. Gelegentlich rennt ein aufgeschrecktes Reh übers Feld. Beim Dörfchen Lunow gelange ich wieder ans Ufer der Oder und auf dem asphaltierten Deichweg lässt es sich ohne Anstrengung pedalieren - jedenfalls so lange bis der erste Wind die Fahrt abbremst, und der kommt heute von Südwest.
Beim Abschied wird die Zuneigung zu den Sachen, die uns lieb sind, immer ein wenig wärmer... Wo gilt das mehr als beim Reisen! Da ist mir jede Sache lieb, die mit mir fährt. Der Abschied von Sachen ist eine Sache für sich, der Abschied von Freunden eine andere. Man sollte weder das eine noch das andere festhalten, sagt der Ukulele-Lehrer: Abschied ist die Kunst des Loslassens zur richtigen Zeit.
Die
Sonne zwinkert durch Baumkronen und über der Oder formieren sich Wildgänse zum Flug - Scharen von 20 bis 40 Vögeln fliegen über mich hinweg, manche fürchterlich kreischend, andere ohne jede Aufregung. Vielleicht treffe ich einige von ihnen an der Elbe wieder... Denn da fühlt sich das lärmende Gänsevolk seit etlichen Jahren auch im Winter noch heimisch. Auch Scharen von Krähen scheinen sich am Lauf der Oder zu orientieren.
Am Gasthaus Zollbrücke haben sich erste Sonntagsradler versammelt. Ich nutze die Gelegenheit ein Tässchen Kaffee nachzuholen - beim Studieren der Speisekarte bekomme ich allerdings Appetit auf die angepriesene Forelle - und mir fällt ein, dass ich außer einem Apfel noch kein Frühstück hatte. Also liegt der Entschluss nahe, das zu dieser fast schon mittaglichen Zeit nachzuholen. Nur zwei Radelstunden später, in Kienitz, liegt eine weitere Einkehrmöglichkeit am Wege - der Gasthof zum Hafen bietet dem Radler nicht nur Erfrischung und Nahrung, sondern auch Zimmer mit Hafenblick - die Umgebung wirkt, abgesehen von Sonntagsrudlern, ruhig und wäre für eine künftige Oder-Radelei interessant.
Im kleinen Hafen von Kienitz liegt ein altes Hausboot namens Avontuur - die beigefügte Zahl 1892 ist vermutlich das Baujahr und Amsterdam der Bauort. Das schwimmende Häuschen wäre ganz nach meinem Geschmack - nicht zu groß, nicht zu klein, genau das richtige als mobile Immobilie für den Eigenbedarf. Der "Balkon" am Heck wäre vorzüglich für Sommerabende, die Koje sieht nach Platz für Küche und Bett, für Bad und Rad, für Bücher und Ukulelen aus.
Ich kann mich nicht satt-sehen an den Farben des Herbstes - und der diesjährige ist ein besonderes Prachtexemplar. Die Sonne neigt sich schon wieder in den westlichen Horizont und das bedeutet, dass ich mich nicht zu lange in Schwelgereien verlieren darf, wenn ich meine heutige Unterkunft noch bei Tageslicht erreichen möchte.
Meine Pension in Frankfurt liegt direkt an der Oder, leider ist das Restaurant nicht geöffnet. Auf Empfehlung des Wirts quere ich die Brücke nach Polen - der Verkauf von billigen Zigaretten und Schnapps scheint hier die oberste touristische Priorität zu haben. Aufdringlich bunt blinkende Reklameschriften und Feuerwehrsirenen wie in New York - in den Straßen von Słubice lungern Jugendliche herum, die wirken, als hätten sie nicht nur die legalen Drogen intus.
In einer Tankstelle kaufe ich schließlich ein Hotdog und eine Flasche Bier - die junge Kassiererin ist auf Deutsche, die kein Polnisch können, offenbar nicht mehr gut zu sprechen. Hätte ich die vier Stangen Zigaretten gekauft, die man zollfrei nach Deutschland einführen darf, hätte sie vielleicht noch ein aufgesetztes Lächeln zustandebekommen - hätte, hätte. Egal, polnische Grenzklitschen waren und sind keine Refugien der Beschaulichkeit. Ich mache mich auf den Weg zurück in die Pension, wo ich ein Balkonzimmer mit Oderblick habe.
Nützliche Erfindungen
Auf dem Nachttisch liegt eine dicke Broschüre, die 2011 anlässlich des 200. Todestages Heinrich von Kleists herausgegeben wurde und sich mit der Rezeption des Frankurter Dichters befasst. Ich blättere ein wenig darin und entdecke unter anderem eine skurille Idee - unter der Überschrift "Nützliche Erfindungen" gedachte der romantische Schöngeist am 10. Oktober 1810 entweder den damaligen Paketdienst zu revolutionieren oder aber die technikgläubige Leserschaft der Berliner Abendblätter auf die Schippe zu nehmen. Anstelle Briefe und Päckchen auf herkömmliche Weise mit der Postkutsche zu transportieren, schlug er nämlich vor, selbige per Artillerie von Ort zu Ort schießen zu lassen, womit sich die Transportdauer auf ein Zehntel reduzieren ließe.
Dass der innovative Dichter dabei nicht an Porzellan und Keramik dachte, liegt auf der Hand... Aber ob es sich dabei um einen ernstgemeinten Vorschlag oder, wie ich vermute, nur um eine Persiflage handelte, ist im Zeitalter per Drohnen zugestellter Postlieferungen nur noch schwer zu entscheiden. Möge der heutige Leser, so er sich von leicht geschwollen verfassten Texten nicht verschrecken lässt, anhand des beigefügten Artikels selbst entscheiden, ob Kleist einen an der Klatsche hatte oder aber nur so tat:
Entwurf einer Bombenpost
Man hat, in diesen Tagen, zur Beförderung des Verkehrs innerhalb der Grenzen der vier Weltteile, einen elektrischen Telegraphen erfunden; einen Telegraphen, der mit der Schnelligkeit des Gedankens, ich will sagen, in kürzerer Zeit, als irgend ein chronometrisches Instrument angeben kann, vermittelst des Elektrophors und des Metalldrahts, Nachrichten mitteilt; dergestalt, daß wenn jemand, falls nur sonst die Vorrichtung dazu getroffen wäre, einen guten Freund, den er unter den Antipoden hätte, fragen wollte: wie gehts dir? derselbe, ehe man noch eine Hand umkehrt, ohngefähr so, als ob er in einem und demselben Zimmer stünde, antworten könnte: recht gut. So gern wir dem Erfinder dieser Post, die, auf recht eigentliche Weise, auf Flügeln des Blitzes reitet, die Krone des Verdienstes zugestehn, so hat doch auch diese Fernschreibekunst noch die Unvollkommenheit, daß sie nur, dem Interesse des Kaufmanns wenig ersprießlich, zur Versendung ganz kurzer und lakonischer Nachrichten, nicht aber zur Übermachung von Briefen, Berichten, Beilagen und Paketen taugt. Demnach schlagen wir, um auch diese Lücke zu erfüllen, zur Beschleunigung und Vervielfachung der Handelskommunikationen, wenigstens innerhalb der Grenzen der kultivierten Welt, eine Wurf- oder Bombenpost vor; ein Institut, das sich auf zweckmäßig, innerhalb des Raums einer Schußweite, angelegten Artilleriestationen, aus Mörsern oder Haubitzen, hohle, statt des Pulvers, mit Briefen und Paketen angefüllte Kugeln, die man ohne alle Schwierigkeit, mit den Augen verfolgen, und wo sie hinfallen, falls es kein Morastgrund ist, wieder auffinden kann, zuwürfe; dergestalt, daß die Kugel, auf jeder Station zuvörderst eröffnet, die respektiven Briefe für jeden Ort herausgenommen, die neuen hineingelegt, das Ganze wieder verschlossen, in einen neuen Mörser geladen, und zur nächsten Station weiter spediert werden könnte. Den Prospektus des Ganzen und die Beschreibung und Auseinandersetzung der Anlagen und Kosten behalten wir einer umständlicheren und weitläufigeren Abhandlung bevor. Da man, auf diese Weise, wie eine kurze mathematische Berechnung lehrt, binnen Zeit eines halben Tages, gegen geringe Kosten von Berlin nach Stettin oder Breslau würde schreiben oder respondieren können, und mithin, verglichen mit unseren reitenden Posten, ein zehnfacher Zeitgewinn entsteht oder es ebensoviel ist, als ob ein Zauberstab diese Orte der Stadt Berlin zehnmal näher gerückt hätte: so glauben wir für das bürgerliche sowohl als handeltreibende Publikum, eine Erfindung von dem größesten und entscheidendsten Gewicht, geschickt, den Verkehr auf den höchsten Gipfel der Vollkommenheit zu treiben, an den Tag gelegt zu haben.
Der Flachbildschirmfernseher ruft danach, einmal angeschaltet zu werden - zwei Fernbedienungsteile mit schätzungsweise je 50 Schaltmöglichkeiten liegen bereit. Auf gutglück schalte ich auf beiden die rote Powertaste an. Irgendeine Seifenoper läuft, ich versuche durch die Programme zu zappen, doch danach finde ich noch nicht einmal den eingestellten Sender wieder. Und das ist auch gut so - ich habe ja meine eigenen Programme! Dazu gehört die Ergänzung meines eigenen Fahrtenbüchleins. Doch irgendwie habe ich am meisten Vergnügen an der Fortsetzung der Kleist-Lektüre.
Froh schlägt das Herz im Reisekittel
Politisch korrekte Liebesbriefe schreiben konnte er also auch noch - sehr schön. Spazieren-gehen und Denken waren demnach legitime Begründungen, sich vor beruflichen, familiären oder anderen lästigen Verbindlichkeiten zu drücken. Allgemeine Arbeitsscheu und sich anbahnende Frühlingsdepressionen lassen sich literarisch kaum vollendeter zum Ausdruck bringen - Kleist war ein Meister seines Fachs. Mehr oder weniger zielführendes Umherreisen, so muss man heute bedenken, gehörte unter den Dichtern der Romantik zum guten Ton, denn schon damals galt: Froh schlägt das Herz im Reisekittel,
vorausgesetzt man hat die Mittel...
Doch die Zeiten haben sich geändert - damals ging es mit Rucksack und Wanderstock über Stock und Stein, heute trauen sich nur noch die tapfersten Pedalritter ins wilde, freie Land. Und selbst unter denen müssen die meisten ihre Wilheminen mitnehmen, damit der häusliche Frieden nicht ins Wanken kommt - ich schwöre es dir.
6. Etappe
Frankfurt > Fürstenberg > Guben > Bad Muskau
Auch an diesem Morgen muss ich aufs Frühstück verzichten, weil es in der Pension erst ab acht Uhr erhältlich ist - die Frühstücksmamsell trifft gerade ein, als ich in den Kickverschluss meiner Pedalen einraste. Mein erstes Pedalieren gilt dem Ziel, die infolge von Kriegszerstörungen und realsozialistischen Betonierorgien einigermaßen verschandelte Stadt hinter mir zu lassen. Etwas weiter im Süden sind einige Villenviertel erhalten geblieben und restauriert worden.
Erst über einige urbane Abschnitte, teils an der Bundestraße 112 entlang, gelange ich wieder aufs freie Land, jedoch ein ganzes Stück von der Oder entfernt - meine himmlische Reiseleiterin, Frau Komoot, wird Gründe kennen, mich so geführt zu haben. Da sie bisher selten fehlte, vertraue ich ihrer Navigationskunst arglos.
Beim 1950 gegründeten Eisenhüttenstadt komme ich wieder an die Nähe der Oder - das als historischer Stadtkern eingemeindete Fürstenberg blieb erfreulicherweise vom "sozialistischen Klassizismus" verschont. In der Wikipedia lese ich, dass der mit dem Ende der DDR eintretende Verfall Eisenhüttenstadts den spöttischen Beinamen Schrottgorod begründet habe. Interessant finde ich, dass zum 70. Todestag von Karl Marx die Umbenennung in Karl-Marx-Stadt vorgesehen war, dem dann der Tod Stalins zuvorkam, was wiederum zur spontanen Umbenennung in Stalin-Stadt führte. Ich quere die Brücke und lasse die Stadt mit den vielen Namen hinter mir.
Auch die Oder lasse ich einige Kilometer weiter hinter mir. Weil der neue Deich, auf dem der Radweg bald entlang führen wird, noch im Bau ist, muss ich ein ganzes Stück über Feldwege - bei Nässe und in der landwirtschaftlichen Hauptsaison, wenn Traktorreifen hier tiefe Furchen hinterlassen, hätte ich keine Chance, bestätigt ein einheimischer Wandersmann. Bei Ratzdorf krümmt sich die Oder nach Osten - die Lausitzer Neiße, die südwärts den Grenzverlauf zu Polen fortsetzt, wird ab hier mein radwegliches Leit-Gewässer.
An manchen Orten hat sich ein Hauch von Ostalgie ins Jahrhundert der Digitalisierung gerettet. Wer noch die Vorzüge von echtem Farb TV + Telefon zu schätzen weiß, könnte in Guben bei Oma Ingeborg fündig werden. In einer Region, deren Bevölkerung sich mehrheitlich Volksvertreter aus hellroten und dunkelroten Parteien in Amt und Würden wählt, trift man allerdings auch noch auf etliche andere Relikte einer obsoleten Epoche - nirgends im wiedervereinten Deutschland sah ich anno 2018 noch so viele Sowjetische Ehrenmale und Ernst-Thälmann-Straßen - in Kientitz gibt es noch eine Straße der Befreiung.
Die Hoffnung stirbt zuletzt
Auf halbem Weg nach Forst liegt ein kleines Dorf namens Groß Gastrose - dessen Einwohner befürchten, dass auch sie bald ihre Heimat verlieren, wenn sich die Bagger des Bergbaus weiter nähern. Dem herzlichen Willkommensgruß am Eingang des Dorfes ist zu entnehmen, dass die Bedrohung besonders deshalb empörendend ist, da man doch als "Ökoenergiedorf" der staatlich verordneten Energiewende quasi schon weit voraus sei...
Könnten Flüsse reden und davon erzählen, was von Beschwichtigungen und Zusagen der jeweiligen Obrigkeiten zu halten ist, stürbe die Hoffnung zuerst... Möge das kleine Groß Gastrose für immer vom drohenden Tagebau verschont bleiben - damit die Lausitzer nicht die "Indianer" Deutschlands werden, denen man immer neue Reservate zuteilt, bis es keine mehr gibt...
An der Ruinen einer Neiße-Brücke in Forst erinnert ein hölzernes Schild an die unbekannten Menschen, die zum Ende des 2. Weltkrieges bei ihrer Flucht oder durch Vertreibung ums Leben kamen. Die Narben des Krieges sind trotz der sieben Jahrzehnte, die vergangen sind, tief. Das ist auch an einem privat aufgestellten Gedenkstein zu erkennen, dessen Text weniger ausgewogen formuliert ist.
Eine mit Bestandteilen der alten Brücke rekonstuierte Flussquerung (nur für Fußgänger und Radler, damit die Geschichte nicht im Lärm des motorisierten Alltags untergeht) könnte eine Art der Vergangenheitsaufarbeitung ermöglichen, die ohne gegenseitige Schuldzuweisungen und offenen Rechnungen auskommt, glaube ich...
Bad Muskau erreiche ich erst in der Abenddämmerung - für eine Runde durch den Park ist es schon zu duster. Das Vergnügen, den Park zu erleben, hatte ich jedoch bereits bei meiner Frühjahrsradelei. Zu meiner heutigen Unterkunft muss ich über einen Feldweg einen kleinen Berg westlich der Stadt hinauf - die ruhige Lage am Waldrand war eine gute Wahl und schnell bricht die Dunkelheit an. Die Fernbedienung des Fernsehers hat nur die wesentlichen Knöpfe - und deshalb funktioniert sie auch problemlos. Ich zappe durch die TV-Programme - um einmal mehr einzusehen, dass Fernsehen zu den übelste Erfindung des elektronischen Zeitalters gehört.
Meine durchschnittliche Einschaltquote je Sender bleibt unter fünf Sekunden... Ich verstehe nicht, was Menschen an Gruselgeschichten und Brutalität so sehr faszinieren kann, als dass man sich allabendlich freiwillig den grauenvollen Bildern und Tönen aussetzt, die das endlose Angebot sogenannter Actionfilme oder Thriller in die Stuben und Schlafzimmer flimmert. uNoch weniger verstehe ich, wie man mit solchen Horror im Kopf am nächsten Morgen aufstehen, seine Kinder zur Schule, sich selbst zur Arbeit fahren kann, als sei nichts gewesen - als habe man in der Nacht nicht furchtbare Schrecken aufgesogen und Ängste durchgemacht.
Ich verstehe nicht, was Menschen daran gefällt, ihre ohnehin knappe Freizeit mit dem Ansehen von Kochsendungen oder Ratespielen verbringen. Ich habe es bisweilen versucht, aber ich kann trotz aller Bemühungen teilzunehmen, nicht nachvollziehen, worin der Reiz liegen soll, noch so geschickten Sportlern zuzusehen, wie sie einem Ball hinterherlaufen. Es wäre doch viel vergnüglicher und erfrischender, dem Ball selbst hinterherzulaufen statt nur zuzusehen. Dummheit ist eine böse Eigenschaft, schrieb Montaigne: Aber sie nicht ertragen können, sich darüber aufregen und ärgern, sei eine Krankheit anderer Art, fügte er hinzu. Da ist wohl einiges dran - immer wieder erbaue ich mich an den tiefsinnigen Aphorismen Montaignes - und doch sind auch seine spöttischen Pointen im Grunde nicht mehr als verdrießliche Kommentare zur allgegenwärtigen Irrwitzigkeit seiner Zeit. Und heute? Darüber denke ich lieber nicht länger nach.
7. Etappe
Bad Muskau > Rothenburg > Görlitz > Zittau
Der erste Weg des Tages führt mich durch den Bad Muskauer Bergpark - der ist weniger bekannt als der Schlosspark, nichtsdestotrotz genauso reizvoll. Zu meiner Überraschung bemerke ich mitten im Park ein Häuschen, aus dessen Schornstein Rauch aufsteigt - was für ein herrliches Fleckchen Wohnsitz. Hinter einem Gebüsch ist ein Trabi Combi geparkt - Ostalgie? Für meine romantische Seele hätte ein Pferdegespann besser gepasst...
Um 10 passiere ich den mir breits bekannten Truppenübungsplatz Oberlausitz - es sind Schüsse zu hören, aber nicht so laut wie bei meiner Frühlingsrunde, als neben krachender Artillerie Hubschrauber kreisten und Panzermotoren dröhnten. Für den ansonsten idyllisch in Werdeck gelegenen Imbiss namens Kasemannel Alm ist die Saison vermutlich vorbei - zumindest erwartet an einem Dienstagvormittag Mitte Oktober niemand radelnde Kundschaft.
Der schönste Blickfang
des Dörfchens Podrosche ist die kleine Kirche am Rande eines Feldes - für Zigarettenraucher ist aber gewiss die kleine Brücke nach Polen interessanter. Durch die Brücke bekommt das beschauliche, von gerade einmal um die 50 Einwohnern bewohnte Dorf den Charakter einer Transitstrecke, was mir den ersten Charme etwas verblassen lässt.
Beim Steinbach zweigt der sogenannte Wolfsradweg ab - ein Thematischer Rad- und Wandwerweg, der westwärts über Boxberg nach Nochten führt und mittels Infotafeln die Wiederkehr des Wolfs beschönigt. Auf der hiesigen Infotafel blicke ich in die unschuldigen Äuglein eines Wolfes, der keinem Schäfchen etwas zu Leide tun könnte... Die Realität sieht allerdings etwas anders aus. Erst vor einer Woche riss ein Wolfsrudel unweit von hier, über 40 Schafe und Ziegen.
Die dünnbesiedelte (teils durch den Braunkohlebergbau unbewohnbar gemachte) Landschaft bot den von Natur aus menschenscheuen Wölfen, die in den letzten 10 Jahren aus den waldreicheren Tiefen Schlesiens und des Riesengebirges einwanderten, akzeptable Lebensräume. Die fragwürdige Willkommenskultur einiger Tierschützer gewöhnt den Wolf an die Gegenwart des Menschen - durch Füttern verliert das Raubtier seine Angst vor dem Menschen weiter, nicht aber seinen Jagdinstinkt. Obgleich der (erwachsene) Mensch nicht zum Beuteschema des Wolfs gehört, ist die Begegnung mit dem Raubtier um so gefährlicher, je mehr es an Menschen gewöhnt ist - die wohlfeilen Tipps der Wolfsfreunde, man möge sich im Falle einer Begegnung "groß machen", um dem Wolf sozusagen zu imponieren, ist für Kinder eine ziemlich vermessene Ansage.
Ich habe meine Zweifel, ob die Vorsitzende des Vereins Wolfsschutz Deutschland jemals allein in Lausitzer Wäldern unterwegs war... Wenn sie lediglich bedauert, dass eine Kindertagesstätte in Uhsmannsdorf bei Görlitz den angebotenen "Ersatz für die beiden Ziegen Lolek und Bolek"* ablehnt, die ein Wolf unlängst dort gerissen hat, und betont, dass ein "wolfssicherer" Zaun es auch getan hätte, zweifle ich - gelinde gesagt - auch am Realitätssinn der obersten Wolfsschützerin der Republik. Mir jedenfalls macht die Tatsache, dass angeblich menschenscheue Wölfe vereinzelt in ländliche Kindergärten vordringen, einiges Unbehagen. Um wieviel wahrscheinlicher ist es, dass die Begegnung auf einem der herrlich einsamen Radwege in Lausitzer Wäldern stattfindet?! Ich bin kein ängstlicher Mensch, aber im Laufe der Jahre doch ziemlich vorsichtig geworden - ich beobachte das Gehölz mit argwöhnischer Aufmerksamkeit - ich achte die Natur und die Gesetze des Waldes, ich respektiere Fuchs und Luchs und Wolf, aber ich lade sie nicht zu mir nachhause ein. Ich bin bestrebt, den Wald vor Einbruch der Dunkelheit verlassen zu haben - Mitte Oktober ist das schon lange vor dem Sandmännchen...
Die Neiße-Schleife bei einem Dorf, das auf den missgünstigen Namen Ungunst hört, habe ich nunmehr in drei Jahreszeiten fotografiert - mir fehlt nur noch eine Winterfahrt hierher. Wie mag es sich wohl bei Schnee radeln lassen - auf drei Rädern?
Die am Radweg aufgestellten Grenzpfähle sind offenbar verlockende Klebeflächen für Botschaften unterschiedlichster Art. Ein Aufkleber fordert mit aller zeitgeistbesessenen Entschiedenheit: Rechtsterrorismus und rassistische Hetze stoppen! - Jemand lässt auf den abgerissenen Resten eines Klebers gleicher Provenienz die übrige Welt wissen, dass er oder sie Anna vermisst. Andere Autoren stellen Fragen, an denen früher oder später niemand vorbeikommt: Wieviel Wahrheit verträgst du? Wie hart kann man dir kommen?
Fragen ganz anderer Art wirft der schwarze Qualm am Horizont auf. Als ich näher komme, ist zu erkennen, dass der Rauch am polnischen Ufer aufsteigt - es sieht ganz nach dem Verbrennen alter Reifen aus. Ein Renterpärchen kommt mir entgegen, der Mann kommentiert den Umweltfrevel mit dem Satz: Das haben wir früher auch gern gemacht. - Wen meinen Sie mit "wir", frage ich zurück. Na, in der Walpurgisnacht sei das eben so Brauch gewesen... Um Hexen zu vertreiben?
Wenn mir ein alter Mann im Angesicht einer so himmelschreienden Luftverschmutzung davon schwärmt, wie toll es (gewesen) sei, Autoreifen zu verbrennen, könnte mir die Hutschnur platzen. Aber was bringt das... Ich glaube, die gedankenlose Umweltvergiftung ist der letzte Sargnagel der modernen Zivilisation. Schade eigentlich.
Auf dem Marktplatz von Rothenburg sah es nach einem sonnigen Mittagessen im Garten des Ratskellers aus, doch das Personal hat alle Hände voll zu tun - ich gebe auf, dann löst sich die Schlange auf, also noch ein Versuch. Es könne aber ein Weilchen dauern... Ein Weilchen? Nein, das tue ich mir nicht an - ich fahre zur Kantine des Martinshofes, wo ich vor drei Jahren bei einer spätsommerlichen Frosch-Radweg-Runde Quartier fand. Hier geht es zügig vorwärts, aber nach mir kommt eine große Gruppe junger Leute und bildet eine lange Schlange - Glück gehabt.
Kurz vor Zentendorf, dem östlichsten Dorf Deutschlands, sind die Baumhäuser und Holzskulpturen der Kulturinsel Einsiedel nicht zu übersehen - den größten Abenteuerspielplatz der Republik besuchte ich vor etwa zehn Jahren. Nicht nur Kinder finden hier Kurzweil und Zerstreuung, auch die Eltern können ihre Seelen baumeln lassen - sogar noch an diesem spätherbstlichen Ferientag.
Auch in Görlitz bin ich nicht zum ersten Mal. Ein Teil der nach Krieg und 40 Jahren Sozialismus verfallenen Fassaden verdankt seine Restaurierung den entbehrlichen Millionen eines anonymen Spenders, so war es vor etlichen Jahren zu lesen. Doch dann schlug noch ein Hochwasser Von der Altstadtbrücke mache ich ein Foto Richtung Peterskirche, ansonsten verlasse ich die Stadt ohne Zwischenstopps, denn bin zu meinem Quartier bei Zittau habe ich noch 40 Kilometer vor mir.
Beim Dörfchen Leuba zieht ein ausgeflippter Richtungsweiser die Aufmerksamkeit des Radlers auf sich - die Entfernungen zu näheren Ausfluszielen sind angegeben, aber ebenso zu fernen europäischen Hauptstädten - vermutlich in Luftlinie. Bis zum Teutonengrill auf Mallorca sind es demnach 1592 Kilometer... Während das Radlervolk noch darüber sinniert, wie viele Tage man bis zum Ballermann-Strand unterwegs sein würde, hat einen gewiss schon der Eiskiosk auf der gegenüberliegenden Seite des Radweges im Griff. Bei mir funktioniert der Trick jedoch nicht, allerdings nur aus einem einfachen Grund - es ist geschlossen.
Bei Ostritz verschnaufe ich kurz im Hof des Klosters St. Marienthal - es ist mein dritter Besuch der seit dem 13. Jahrhundert bestehenden Zisterzienserinnen-Abtei. Als ich vor vier Jahren als Reiseleiter für meinen belgischen Musikfreund Herman agierte, fotografierten wir jeden Winkel der barocken Gemäuer - dabei entstanden auch einige katholisch korrekte Schnappschüsse. Beim verheerenden Hochwasser des Jahres 2010 wurde das gesamte Klosterareal meterhoch überflutet - die Hochwassermarke an einem Haus beeindruckt mich erneut. Normalerweise plätschert die Neiße im Bogen um das Anwesen - der romantische Pilgerweg am Ausgang des Kloster inspirierte mich damals dazu, einmal bis zur Quelle der Neiße im böhmischen Isergebirge zu radeln...
Als ich Zittau erreiche, wird es schon duster - für eine Runde durch die alte Stadt ist es zu spät, meine heutige Pension liegt noch etwas südlicher der Stadt, am Olbersdorfer See. Nachdem bei mir alles in trockenen Tüchern ist, verlangt noch die von 110 Kilometern Fahrt ausgelaugte Zunge ihre Etappenprämie. Ich bin schon seit längerem ein aktiver Unterstützer der hiesigen Biermarke - dass es Landskron auch als Hefe und vom Fass gibt, ist mir neu. Derweil ist der Mond aufgegangen, nur die gold'nen Sternlein prangen noch nicht.
Ich bin der einzige Gast auf der Terasse des Hotels, aber drinnen ist auch nicht viel mehr los. Während ich meine Neiße-Radweg-Karte studiere und von der Wetter-App ein sonniges Morgen und Übermorgen angezeigt bekomme, reift der Gedanke, die Inspiration von vor vier Jahren zu vollenden - die Quelle der Neiße ist ja nur noch einen halben Tagesritt entfernt... Sollte mein Zimmer für die nächste Nacht noch vakant sein, wäre das ein Zeichen. Ich frage nach und die Antwort der Rezeption ist positiv - die spontane Verlängerung meiner Herbsttour ist damit beschlossen.
8. Etappe
Zittau > Nova Ves (Neißequelle) > Zittau
Meine Tour zur Neiße-Quelle führt mich durchs Dreiländereck - zuerst quere ich die polnische, dann die tschechische Grenze. In der Ferne ist der mit über tausend Metern höchste Gipfel des Jeschken-Kosakow-Kamms erkennbar - markant ragt auf dem Jeschken der in den 1960ern erbaute Funkturm in den Himmel. Die von internationalen Architektenkollegen als "rotierender Hyperboloid" umschwärmte Konstruktion mit dem konischen Sockel dürfte, nachdem sie in Dienst gestellt wurde, gewiss nicht nur touristischen Belangen gedient haben - es würde mich wundern, wenn der Betriebsleiter des "mit Fernmeldetechnik vollgestopften"* Turmes kein Offizier der tschechischen Volksarmee war...
Bei Liberec nad Nisou (Reichenberg an der Neiße) führt mich die himmlische Reiseleiterin dankbarerweise nicht an der Lausitzer Neiße entlang, welche sich an stark befahrenen Straßen südlich um die Stadt windet, sondern mitten durch die sehenswerte Altstadt. Dadurch gelange ich in der größten Stadt Nordböhmens an den Harzdorfer Bach (Harcovský potok), einer der zahlreichen Neiße-Zuflüsse.
Frau Komoot ist wahrscheinlich an einer Abkürzung nach Jablonce nad Nisou (Gablonz an der Neiße) gelegen. Das ist durchaus sinnvoll, denn meiner Faltmappe zufolge wäre der Radweg entlang der Lausizer Neiße hin wie her um je 10 Kilometer länger, wenigstens - angesichts der kurzen Oktobertage keine sinnvolle Alternative. Die Stadt, die ihren tschechischen Namen einem Apfelbaum (Jablonec) verdankt, wurde von der Geschichte immer wieder schwer gebeutelt - mehrfach niedergebrannt, nach dem 30-jährigen Krieg wurden protestantische Bewohner vertrieben, während Hitlers Heimholung ins Dritte Reich wurden Juden und Tschechen vertrieben, nach dem 2. Weltkrieg die Sudetendeutschen oder Deutschböhmen - ungezählte Tragödien.
Seit den 1970ern prägen die Plattenbauten des Realsozialismus den nördlichen Stadtteil, der einst Grünwald hieß. Grüner Wald aber ist erst oberhalb der Talsperre zu sehen, von wo der Blick hinüber zu die Betonghettos der Stadt fällt. Das steil ansteigende Isergebirge hindert eine weitere Urbansierung und somit Verschandelung der Landschaft. Der Waldweg, auf den mich Frau Komoot schickt, ist steil, das Hinterrad dreht auf dem steinigen Untergurnd durch - am Berg muss ich pausieren, um den GoSwissDrive nicht übermäßig zu strapazieren, er hat gerade die rote Lampe gezeigt. Noch ein Stück und ich befinde mich an der höchsten Stelle meiner heutigen Tour - bei etwa 630 Meter über Meeresspiegel.
In Nova Ves (Neudorf) finde ich zunächst keinen Hinweis auf die Neiße-Quelle, dann aber werde ich doch noch an einer Infotafel fündig - und so folge ich der Hauptstraße noch ein Stück bergan, bis es in eine dicht von Wald umgebene Nebenstraße geht. Dort geht es eine kurze Holztreppe hinab und einen Weg entlang. Auf einem vermosten Findling ist eine Platte mit der Gravur NEISSEQUELLE befestigt - auch die tschechische und polnische Bezeichnung ist eingraviert.
Die Rückfahrt wandle ich ein wenig ab, einerseits um an dem abgelegen Haus auf dem Berg nicht nochmals ein Rendevouz mit dem frei umher laufenden Schäferhund zu haben, dem mein dreirädriges Gefährt äußerst zu missfallen schien, und anderseits um auf der Asphaltstraße talwärts zu rollen. Die Gablonzer Talsperre erreiche ich daher von einer anderen Seite als bei der Hinfahrt. Dann rolle ich im Wesentlichen auf der gleichen Strecke nach Zittau zurück.
Im Dörfchen Bílý Kostel nad Nisou ist der erste Blickfang die Kirche des Heiligen Nikolaus(Kostel sv. Mikuláše), der zweite ein kleiner Biergarten, wo sich um diese Zeit gut dinniieren und ein böhmisches Pivo genießen lässt. Die an den anderen Tischen sitzenden deutschen Radler scheinen aus der Zittauer Umgebung zu stammen, jedenfalls ist allen das typisch Oberlausitzer Rollen des "r" gemein.
Bei Einbruch der Dämmerung bin ich wieder am Olbersdorfer See. Ein paar minderjährige Jungen zünden sich Zigaretten an, gleichaltrige Mädchenstimmen albern herum, ein Mann joggt den asphaltierten Weg entlang, ein anderer Mann spazoert umher und singt ein Lied in einer mir fremden orientalisch klingenden Sprache. Und ich gönne mir noch 0,3 Liter Zielprämie,
Nicht der Tod, sondern das Sterben beunruhigt mich
Zurück in meiner Pension erhalte ich einen Anruf von einem Freund aus Jugendjahren, der Anlass ist - bereits das dritte Mal in diesem Jahr - ein trauriger. Denn wieder hat einer unserer alten Freunde den Löffel abgegeben. Einige Freunde und Bekannte, jünger als ich, haben den letzten Weg schon hinter sich. Bei manchem klopfte der Tod ein Weilchen vorher an die Tür, sei es laut oder leise gewesen. Doch in diesem Falle scheint der Sensenmann ohne Ankündigung gekommen zu sein - beim abendlichen Joggen auf dem Waldweg... Niemand war dabei - niemand weiß, wie es war. Nicht der Tod, sondern das Sterben beunruhigt mich, schrieb Montaigne, dessen Denken mehrfach um dieses Thema zirkulierte - Philosophieren ist sterben lernen...
Meine Heimfahrt beginnt an einem Bach, dessen Namen ich das erste Mal lese - ich war noch nie in dieser Gegend. Nur ein kleines Stück begleite ich ihn, gleich hinter dem Westpark von Zittau biegt er norwestwärts. Ich aber radle gerade aus - am Ortsausgang des Dörfchens Hörnitz erheitert mich ein Schild mit der Aufschrift: Auf ein Wiedersehen im "Schönsten Dorf" des Freistaates Sachsen"... Habe ich was verpasst? Das ist natürlich möglich, denn ich passiere das Dorf nur am nördlichen Rand. Sollte ich umkehren und nachsehen, ob das Selbstbewusstsein des Dörfchen berechtigt ist? Nein, heute nicht - ein anderes Mal. Denn ich pedaliere schon ein Weilchen an der Steigung eines Berges und will nicht umkehren. Und schließlich wird kein noch so schöner Ort dadurch schöner, dass man sich umdreht und ihm hinterhersieht... Wheels are made for rolling - Räder sind zum Rollen gemacht, weiter geht's!
An einem alten Meilenstein aus königlichen Zeiten kann der Blick ins weite Mandautal ausschweifen - eine Frau, die ihren Hund ausführt, sitzt auf einer Bank und raucht, genießt den Morgen und die Weite des Ausblicks. 0,4 Meilen bis Großschönau steht auf dem Meilenstein. Hat jemals jemand die Ortschaften gezählt, die das namensstiftende Wort "schön" enthalten? Habe ich nicht gerade erst das "Schönste Dorf" Sachsens hinter rmir gelassen? Sollte ich da jetzt schon wieder ein Dorf erreichen, dessen Schönheit "ausgezeichnet" ist? Macht wahre Schönheit Worte um sich? Und ist sie letztlich, wie eine Cowboy-Weisheit sagt, nicht doch genauso flüchtig wie der Rauch im Wind?
Nach der steilen Abfahrt vom Breiteberg bremse ich in ein wahrlich schönes Tal hinein, in dem sich Großschönau an die Ufer der Mandau schmiegt, der ich hier wieder begegne. Die gepflegten Umgebindehäuser und für ein Dorf ungewöhnlichen vielen Villen sind eine Augenweide für jeden romantischen Geist. Stünde nicht die eine oder andere moderne Blechkarosse in den Straßen, könnte man sich wie auf einer Zeitreise in ein Dorf des frühen 19. Jahrhunderts fühlen.
Wer um den Charme des Morbiden weiß, kann gleich am Ortseingang von Großschönau ins Schwärmen kommen. Hinter Baum und Strauch leuchtet das Fachwerk eines alten Hauses durchs Laub - der Dachstuhl ist eingebrochen, den Rest besorgen mit der Zeit Regen, Schnee und Wind. Doch solcher Verfall ist in Großschönau eher die Ausnahme.
Das goldene Zeitalter Großschönaus begann mit der zum Ende des 17. Jahrhunderts aufblühenden Damastweberei. Die über Jahrhunderte gewachsene Tradition der Textilherstellung überlebte teilweise sogar die sozialistische und die kapitalistische Planwirtschaft... Und selbst im Zeitalter der Globalisierung, wo Billigimporte aus Asien die Märkte überfluten, bestehen einige der Firmen im Wettbewerb der Tücher. Ungeachtet dessen führte der Ausverkauf an ausländische Konkurrenten auch zu Werksschließungen. Ich bin überrascht, in einer der östlichsten Ecken Deutschlands ein so liebevoll aufgeräumtes Dorf vorzufinden - es gibt Gegenden in westlicheren Landesteilen, die wirken selbst drei Jahrzente nach der Wiedervereinigung noch, als sei die Rote Armee erst vorige Woche abgezogen.
Nur wenig Leute sind an diesem Donnerstagmorgen in den verwinkelten Straßen des schönen Dorfes, das ich im Norden streife, anzutreffen. Als ich versehentlich in eine Sackgasse gerate, entdecke ich einen Fahradladen - auch das ist ungewöhnlich für ein Dorf in einem so abgelegenen Winkel des Lausitzer Dreiländerecks. Wo Textilien und Fahrrad geht, sinniere ich, müsste eigentlich auch Ukulele gehen... Es sieht ganz so aus, als hätte ich mich auf Anhieb ins schöne Großschönau verliebt. Doch gleich nach der Grenze, im tschechischen Varnsdorf, ist alle ländliche Idylle dahin. dHier prägt das Grau sozialistischer Beton-Jahrzehnte die Straßen - Augen zu und durch! Dann aber wird es steil - auf wenigen Kilometern geht es auf 500 Meter ü.M. hinauf.
Ab dem Bergdorf Studánka rollt es sich über Krásná Lípa (Schönlinde) ins romantische Khaatal. Es ist um 11, leider ist der Biergarten in Kyjov noch geschlossen - das traditionellste böhmische Nationalgericht, Gulasch mit Knödeln, bleibt meinem bereits auf Mittagessen eingestellten Frühaufstehermagen somit also verwehrt. Der asphaltierte, kurvenreiche Waldweg in den Schluchten der Křinice lenkt schnell von den erhofften Gaumenfreuden ab, zu denen in Böhmen immer ein Pivo gehört.
Ein schmaler Wanderpfad führt an der Grenze zu Deutschland durch den dichten Wald, der sich urplötzlich lichtet und eine nach meinen Träumen geschaffene Einsiedelei zeigt. Die Mittagssonne verwöhnt die kleine Lichtung - in den Abendstunden dürfte die Dunkelheit hier nicht lange auf sich warten lassen. Und spätestens dann ist es hier so ruhig und einsam, wie es sich ein vom Grundrauschen der Zivilisation genervter Ukulele-Lehrer nicht besser wünschen kann.
Dann heißt es noch einmal Pedale drücken - nach Hinterhermsdorf hinauf ist ein letzter Stich, bevor sich die die Straße durchs 20 kilometer lange Kirnitzschtal nach Bad Schandau windet. Die Buschmühle hat, wie so oft, wenn ich hier vorbei komme, Ruhetag. Auch die anderen Gasthäuser im beliebten Wandergebiet nutzen die Ruhe vor dem Wochenendsturm für eine gastronomische Pause - wer will es ihnen verdenken.
In Bad Schandau quere ich die Elbe und schwenke auf Sachsens am stärksten frequentierte Radlerpiste ein. Sogar ein Liegedreirad, das aus der Ferne wie meines aussieht, zieht vorbei. An einer Bank pausiere ich, um mich mit dem vom Frühstück abgezweigten Proviant zu stärken - ein belegtes Brötchen. Ein Rennradler bremst etwas ab und ruft mir zu: Na, sitzt ja schon wieder! Der Mann verwechselt mich höchst wahrscheinlich mit dem anderen Liegeradler, dem er vor einer Weile wo auch immer schon begegnet sein könnte. Ich versuche ihm zu erklären, dass er mich mit einem anderen Liegeradler verwechselt. Aber ich glaube, er versteht es nicht, denn er fährt ohne anzuhalten weiter.
Die Welt der Dinge
Die Begegnung macht mir erneut das "Alleinstellungsmerkmal" meines Fahrzeuges deutlich - der Rennradler glaubt, das ungewöhnliche Fahrrad wiederzuerkennen, das er vor einer Weile sah, merkt aber nicht, dass der Fahrer ein anderer ist. Mit anderen Worten, die Wahrnehmung war und ist aufs Gefährt konzentriert, nicht auf den Menschen, der es fährt... Manche Radler sind nicht anders als PS-Junkies - sie schauen sich nicht dem Radler in die Augen, sondern dem Rad in die Speichen - in die Bremsscheiben, in die Radnaben, sie achten auf alles, aber eben nicht auf den Fahrer, den Menschen! Die Welt der Dinge bestimmt nicht erst seit heute das Denken - "Haben oder Sein" bleibt hier die Frage. Als Erich Fromm die abendliche Zivilistion auf ihren Umgang mit den Dingen untersuchte, hatte Michel de Montaigne schon längst resümiert: Das Meisterstück eines Menschen, auf das er besonders stolz sein kann, ist, sinnvoll zu leben. Alles Übrige - wie regieren, Schätze sammeln, Bauten errichten - sind Nebensachen.
Man kann schon hundertmal an den Felswänden von Rathen vorbeigeradelt sein, man schaut dennoch immer wieder hin und sucht den Blick zur berühmten Bastei-Brücke, wo ein Pionier der Landschaftsfotografie mit dem in Fels gravierten Satz "Hermann Krone hic primus luce pinxit" verehrt wurde. Damals, anno 1853, als Krone hier als Erster mit Licht malte, war jedes einzelne Foto eine Herausforderung - die sperrige Fotoausrüstung muss damals einen Zentner oder mehr gewogen haben, sich ständig verändernde Lichtverhältnisse mussten präzise eingeschätzt werden, die als Datenräger benutzten Silberplatten waren kospielige Unikate.
Je leichter und billiger das Fotografieren seither auch geworden ist, es gehört zur Paradoxie der Moderne, dass sie kaum fotografischen Aufnahmen hervorbringt, die mit den Meisterwerken aus den Anfangszeiten der Fotografie vergleichbar wären. Auch meine fotorafischen Künste sind nur dilettantische Schnappschüsse, dennoch staune ich, was sich mit einer längst nicht mehr auf neuestem Stand gebauten 120-Gramm-Taschenkamera
"malen" lässt. Es ist mittags um eins, die denkbar ungünstigste Zeit für jede Art von Lichtbildnerei. Die Bilder des Morgens waren reizvoll, die Bilder des Abends werde es vielleicht wieder sein.
Um wieder heimzukommen
Etwa in zwei Stunden werde ich zuhause sein - im Hohelied der Einsamkeit ist das quasi ene "no go area". Ich könnte mich auch mit einem Radlerfreund an der Bretterbude verabreden, wie ich die Selbstbedienungsstampe an der Fähre nach Pillnitz zu nennen pflege. Für den beinharten Mann des Wilden Westens wäre derartige Verweichlichung Inbegriff der Hölle - "Hell is in Hello" singt Marvin, himmlich dagegen sei ein "Good bye forever, it is time for me to go."
Auf den letzten 20 Kilometern meiner Herbstradelei hänge ich nochmals Gedanken zum Thema Freundschaft nach - es gab so manches Zerwürfnis in den letzten Jahren. Welchen Anteil habe ich daran? Ist die Frage überhaupt sinnvoll? Muss die Frage nicht eigentlich lauten: Wie halte ich es mit dem besten und vertrautesten Freund, den ich kenne? Mir selbst? Was wäre eine Freundschaft wert, wenn ich ihren Bestand mit Selbstverleugnung bezahlen müsste? In der wahren Freundschaft schenke ich mich meinem Freunde mehr, als dass ich ihn an mich ziehe... Was sich nach Allerweltsweisheit anhört, ist ein Zitat aus der Feder meines Reiseleiters Michel de Montaigne. Wahre Freundschaft?
Über Sentimentalitäten kann der beinharte Western-Held nur müde lächeln - er setzt noch eins drauf und singt: Home was made for coming from, for dreams of going to, which - with any luck - will never come true... Zuhause ist ein Ort, von dem man aufbricht, wo man loszieht, wo man Träume träumt, die andeuten, wo lang die Reise geht, die aber - mit etwas Glück - niemals wahr werden... Das könnte von Nietzsche stammen. Montaignes Behauptung, die meisten Menschen würden nur reisen, um wieder heimzukommen, wirft die Frage nach dem höheren Sinn des Reisens auf.
Wer nicht wartet, bis er Durst hat, schreibt Montaigne an anderer Stelle, der hat keine rechte Freude an einem guten Trunk. Letzter Boxenstopp an der Bretterbude bei der Fähre zu Pillnitz. Wie verabredet treffe ich hier einen meiner Radlerfreunde - es gibt einiges zu erzählen. Doch die Abende sind kühl geworden und der goldenste Herbst ist bei all seinem herrlichen Glanz auch der untrügliche Vorbote des Winters - da zischt das Bier bei uns beiden nicht mehr so hemmungslos die Kehlen hinunter wie noch vor Wochen.
Mit etwas Glück
Den höheren oder tieferen Sinn des Fahrens er-fahre ich beim Fahren - jeder hat da eigene An- oder Einsichten... Was immer der Weisheit letzter Schluss sein mag, ich freue mich auf zuhause. Gleich bin ich wieder im Warmen, bei meinen Ukulelen und Mundharmonikas - in meinen vier Wänden, wo das Bett steht, in dem ich die Träume träume, die - mit etwas Glück - niemals wahr werden.