Von der Quelle zur Mündung


Keine Bange, da war noch genug Luft seitlich - einen so großen Schneckerich übersieht kein Wandersmann. An den zahllosen kleineren und hauslosen Artgenossen, die am frühen Morgen den Weg queren, vorbeizukommen, ist bei aller Vorsicht fast unmöglich - es sei denn man radelte selbst nur im Schneckentempo.


Jawohl, jetzt geht's in Grüne! Fünf Tage an der Unstrut entlang. Und wie es sich für eine Flusswanderung gehört, geht es an der Quelle los. Unweit davon komme ich nach Anreise mit der Bahn kurz nach Mittag an. Einzelheiten der Strecke will ich hier nicht ausführen, nur etwas Appetit zum Selbstfahren machen. Weitere Tipps dazu am Ende dieser Seite.



Mühlhausen. Von der Stadtmauer schweift der Blick über die Dächer der mittelalterlich geprägten Stadt mit ihren vielen Kirchen, über allen thronen die Türme der Marienkirche am oberen Markt.



Mühlhausens historische Altstadt glänzt in alter Pracht, doch es gibt auch noch Gebäude, für die sich nur noch die Tauben interessieren - so das Gasthaus "Goldener Stern", an dem auch noch etwas "Ostalgie" (HO) durchschimmert...

Bei einem Ausflug zum urwaldartigen Nationalpark Hainich (Unesco-Naturschutzgebiet) passiere ich den Gedenkstein zur Ehrung des US-Piloten R.C. Stepens, der 1949 während der Berliner Luftbrücke hier abstürzte. Als ich mich dem Ort nähere, kommt mir ein alter Mann entgegen, der Initiator, der die Gedenkstätte pflegt und hegt.




Volkenroda. Nach einem Konzert der Münchner Arcis-Vocalisten in der Klosterkirche verbringe ich die Nacht im "Heuhotel". Im Gegensatz zu den nahezu vollbesetzten Herbergszimmern des einstigen Klosters bin ich dort der einzige Gast - und verstehe erstmals, was das Sprichwort, demzufolge man so schlafe, wie man sich bettet, in der Realität bedeutet: nämlich hart, so man dem Betten nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet hat... Doch man lernt dabei sehr schnell und am eigenen Leibe den bescheidenen "Komfort" der Pilger vergangener Jahrhunderte kennen.




Unstrutauen zwischen Altengottern und Thalmsbrück. Sogenannte Heckrinder haben kein besonderes Heck, sondern sind nur nach ihren Züchtern, den Gebrüdern Heinz und Lutz Heck, benannt. Die hatten Ende der 1920er begonnen, robuste Rinderarten mit dem Ziel zu kreuzen, eine dem ausgestorbenen Auerochsen ähnliche Art hervorzubringen. Heute noch verwendete Begriffe wie "Rückzüchtung" oder "Nachfahre des Auerochsen" sind jedoch reine Folklore.




Scheu beäugt die Rinderfamilie selten erscheinende Zaungäste. Da es nach dem 2. Weltkrieg in Deutschland andere Nöte als eine "Rückzüchtung des Auerochsen" gab, gesellten sich die Heckrinder wieder ungezwungen zu herkömmlichen Stallrassen, so dass deren Nachfahren das heutige Erscheinungsbild der Heckrinder prägen - und das kann regional sehr unterschiedlich sein.

Bad Langensalza: Irgendwie erinnert mich die etwas aufgeregte Figur auf diesem Brunnen an die Chefin eine Cafés, denn nachdem ich bei einem freundlichen Kellner eine Tasse Kaffee bestellen konnte, schimpfte sie: "Wir öffnen um 11 - und nicht halb 11!"



Gegen 11 Uhr werden in der Blumenstadt die Tische der Straßencafés gedeckt - von ausgeschlafenen Kellnern...

Gästezimmer im alten Pfarrhaus von Werningshausen. Der Aufenthalt in einem von Mönchen bewohnten Kloster ist ein außergewöhnliches Erlebnis. Erst in den 1970ern gründeten Benediktiner hier das Priorat St. Wigberti. Ein flüchtiger Einblick ins Klosterleben ist möglich, sofern man sich darauf einlässt, zeitig zu Bett zu gehen, um früh aufstehen zu können...



Historischer Friedhof im Benediktinerkloster St. Wigberti.

Ostermontag: Der mächtige Heiligenkranz dieser Madonna scheint das Abendlicht magisch anzuziehen... Manche Relikte und Rituale aus alten Zeiten mögen entrückt wirken, doch die Mönche von Werningshausen sind weltoffen und das Lachen gehört zum Klosterleben wie die Kirche zum Dorf. Sogar einen persönlichen Youtube-Kanal hat der Prior. Gelegentlich kommen auch Fernsehfritzen zu Besuch - gut dokumentiert in der Webpräsentation des Klosters.



Frauenbesuch ist in Männerklostern verboten, aber in Stein gehauen kann eine Statue den besonderen Arbeitsethos der Benediktiner verkörpern. Was mag die Schöne in ihrem Krug haben? Der heilige Wigbert, im Hintergrund links, dürfte es wissen...

Sömmerda: Die Kleinstadt erreiche ich im Stadtpark. Um ins historische Zentrum zu gelangen, quere ich diese kleine Brücke.



Nahe Hedlrungen ragen zwei Burgruinen am anderen Ufer auf, am Hang die Hakenburg, auf dem Gipfel die Sachsenburg.

Im Schloss Heldrungen erinnert eine Gedenktafel an die Kerkerhaft Thomas Münzers im Jahre 1525. Wenige Tage später wurde der mutige Bauernführer vor den Toren Mühlhausens enthauptet.



Wegen des gefluteten Burggrabens wird Schloss Heldrungen auch als Wasserburg bezeichnet.



Schönewerda. Nach einer langen Tagesetappe ein traumhafter Abend an der Unstrut.

Die Pension Unstrut-Gut in Schönewerda bietet geschmackvoll im Landhaus-Stil eingerichtete Zimmer. Am Horizont glüht der Kyffhäuser in der Abendsonne. Und wenn von dem im Hof angebauten Wein gerade ein Fläschlein geöffnet ist, darf man sich zu den besonders glücklichen Gästen zählen...



Im romantischen Hof der Pension lässt sich der Abend genießen.



Am Morgen liegt der Nebel über den Dächern des Hofes, ein Souvenir vom Kurischen Haff krönt einen der Giebel.



Hätte ich nicht am Vorabend mein Fernglas liegenlassen, wäre ich hier wohl am Morgen nicht auf die Suche gegangen. Und so wäre mir dieser Blick auf das Inselparadies, welches sich ein Schwanenpaar mit einigen Enten teilt, nicht vergönnt gewesen. Ob ich mein teures Gepäckstück gefunden habe? Egal, der Anblick und das Foto waren es wert.



Arche Nebra. Für die sogenannte Himmelsscheibe von Nebra wurde nahe ihres eigentlichen Fundortes bei Wangen ein Museum erbaut. Wie die biblische Arche Noah scheint das imposante Bauwerk in den Wogen der Zeit zu schaukeln. In marktwirtschaftlichen Zeiten lässt sich aus allem Geld machen, warum nicht auch mit einen riesigen Souvenirshop, der sich um ein bronzezeitliches Fundstück dreht. Das wertvolle Original (seit 2006 auf 100 Millionen Euro versichert) liegt allerdings, wo es hingehört: im Institut für Archäologie in Halle.



Sogenannte Büttenweiber schleppten früher in Eimern (Bütten) das Wasser der Unstrut in die am Berg gelegene Stadt Nebra, später wohl nur vom Brunnen in die Häuser. Der schweren körperlichen Arbeit wurde hier ein Denkmal gesetzt. Ob die Frauen damals ihre Arbeit allerdings so offenherzig getan haben, darf bezweifelt werden - hier dürfte einmal mehr die Phantasie des Künstlers die Oberhand behalten haben...





Nichts bleibt, wie es ist... Als wäre sie gestern erst angebracht, zeugt eine Beschriftung aus DDR-Tagen davon, dass "nicht alles schlecht" war... Immerhin, die Farbe ist noch ein Vierteljahrhundert später gut erhalten. Im Sandstein darüber schimmert auch noch die Aufschrift "Brauerei" aus früherer Zeit hindurch. Gardinchen und Blümchen am Fenster zeigen die gegenwärtige Nutzung - als Wohnung.



Im  Tal des Weinrausches. Hat man die hübsche kleine Altstadt von Freiburg hinter sich gebracht, gelangt man in den Blütengrund, an dessen Südhängen ein Weingut neben dem anderen liegt. Je nach Finanzlage ließen sich die Winzer hier idyllische Hütten oder barocke Residenzen errichten, einer der besonders betuchten Weinbergsherren beauftragte einen Steinmetz, die Geschichte des Weinbaus anhand biblischer Erzählungen im Fels zu verewigen. Hier gestaltete er die "Berauschung Lots durch seine Töchter" - den mehr oder minder frommen Zweck dieses biblischen Besäufnisses entnehme man der Heiligen Schrift.



Die Mündung. Wo die Unstrut in die Saale fließt, bieten Fährmänner sicher schon seit Jahrhunderten ihre Dienste an. Neben der Überfahrt gehört dazu auch die Bewirtung in einem romantisch anmutenden Gartenlokal. Allerdings ist das in der Vorsaison (Ostern) nach 6 schon geschlossen, so dass mir die ungetrübte nostalgische Vorstellung erhalten bleibt... Auch die Fähre wird bereits für die Nacht festgemacht - daher folge ich nun der Saale bis zur nächsten Brücke, um nach Naumburg zu gelangen.



Naumburg. Nach dem steilen Anstieg reicht die Zeit noch für einen abendlichen Bummel durch die Domstadt.



Mit einem Bierchen hinaus aufs Dach setzen, den Tag Revue passieren lassen - und die Seele baumeln. Gelassen den voyeuristischen Spaziergänger beobachten, der nicht zögert, auch die stillen Nebensächlichkeiten der Welt abzulichten...




Wie eitel sind doch die Häuser dieser Welt... Sind die unbequemen, kritischen Geister, die in ihren Mauern einst weilten, endlich stumm und ungefährlich, so schmücken sich die Fassaden gern mit ihren Namen.



Nach vielen tiefsinnigen Gedanken - jenseits von Gut und Böse - verbrachte Friedrich Nietzsche hier den größten Teil seines stummen Lebensabends. Und was nun, großer Philosoph? Wo ist deine Peitsche?




Bei einer Karaffe roten Unstrut-Weines auf dem Marktplatz der Domstadt endet meine Flusswanderung - doch das freundliche Frühlingswetter bleibt mir gewogen und so geht meine Fahrt noch drei Tage weiter...



Für Nachahmer: Ich benutzte den Ringmappen-Radführer (Go Vista Bike Guide). Wie bei ähnlichen Reiseführern ist dabei das Kartenmaterial das Wichtigste. Die regionalen Infos sind oft oberflächlich oder ungeprüft aus anderen Quellen abgeschrieben. Nützliche Infos (z.B. über preiswerte Unterkünfte) sind teils schon beim Druck nicht mehr auf dem aktuellen Stand oder wurden bei Neuauflagen nicht gründlich nachgeprüft. Reiseführer sind mitunter auch wie Radwegschilder, sie schicken ihre Leser manchmal auf einen seltsamen Umweg, und sei es um sie zu einem bestimmten "Erlebnisrestaurant" zu führen. Da gilt für mich: Ohren zu und durch! All die entbehrlichen Infos und Umwege möchte ich nicht durch eigene ergänzen, denn die sind ja auch nur von begrenzter Gültigkeit. Doch meine Erfahrung mit dem Zweibeinmotor, meine persönlichen Beweggründe, meine Eindrücke und Erlebnisse, die für mich so erfrischend wurden, teile ich gern... Ich war dann mal radeln.





Unterwegs mit der Ukulele


alles-uke.de