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Füller gerettet

und mangels Tinte mit Wasser aufgefüllt



Brief meines Großvaters über die Zerstörung Dresdens in der Nacht vom 13. zum 14. Februar 1945



Blasewitzer Str. 11 bis zum Abend des 13. Februar 1945

 
Das Haus, in dem meine Großeltern mit meiner Mutter, ihrem Bruder und deren Großmutter wohnten, wurde zwar von keiner Bombe getroffen. Doch sämtliche Scheiben waren durch die Druckwellen explodierender Bomben zerbrochen, Funkenflug entzündete Gardinen und somit brannte das gesamte Haus aus. Weitere Einzelheiten sind dem folgenden Zeitzeugenbericht zu entnehmen.
     

Der Brief war ursprünglich mit Füllhalter geschrieben, er wurde erst später mit Schreibmaschine abgetippt. Dabei hatten sich Tippfehler eingeschlichen. Zur besseren Lesbarkeit sind diese Fehler in der Abschrift rechts korrigiert, fehlende Wörter (in Klammern) eingefügt.

Schreibmaschinen-Abschrift des einstigen Briefes








Meißen den, 14.3. 45

Liebe Ursel!
Du wirst schon lange darauf gewartet haben, von mir mal ein Lebenszeichen zu erhalten. Aber es ist alles so furchtbar, daß ich einfach gar nicht davon schreiben konnte. Von Hertha hast Du ja gleich erfahren, daß wir leben und weiter läßt sich ja nichts sagen, denn mehr als das nackte Leben besitzen wir ja nicht. Was ich auf den Leibe habe, gehört mir nicht.

Dresden gehört also auch zu den Märchenstädten, von denen die Sage einmal erzählen wird: es war einmal! lin Mickten, Loschwitz, Weißer Hirsch, Tolkewitz, Laubegast und ähnlich weit abgelegenen Teilen sind noch einige unbeschädigte Häuser anzutreffen. Näher an die Stadt kommen dann die Häuser, die teilweise demoliert, nicht gebrannt haben oder gelöscht werden konnten. So auch Lieses Haus auf der Niederwaldstr. 23, wo nur Scheiben kaputt, aber nebenan hat es die ganze Nacht gebrannt.

Von den Wahrzeichen der Stadt sind noch zu sehen, wenn auch stark demoliert, Rathausturm mit Mann, Schloßkirchen- und Kreuzkirchenturm. Von Sophienkirche ein Turm. Frauenkirche ist Schutthaufen, wie die ganze Stadt nurein einziger Schutthaufen ist. Auf der Blasewitzer Str. ist von Nr. 1 bis 99 nur noch 1 Haus teilweise bewohnbar, nämlich Nr. 9 nebenan, die haben auch & tüchtig gelöscht. Von Trinitatis ist der Turm noch nicht eingestürzt, Kirche Volltreffer, Gemeindehaus Volltreffer. Dadurch brannte sofort der Schuppen in unserem Hof, in den mehrere 1000 kg Pappen (Zigaretten-Karton) lagerten. Der Qualm hat unsere Hausbewohner vertrieben, denn Fenster und Türen waren durch den Luftdruck schon nach innen geflogen.

Wenn die Börnert mehr Interesse gehabt hätte für Luftschutz und es wären die Fenster vermauert und stabile Türen hinten am Eingang und am Luft-schutzkeller gewesen, dann hätten die Bewohner länger ausgehalten undlöschen können. Vielleicht auch nicht. Du kennst ja die ganze Sippschaft.Vodels Mädels haben sich schandhaft benommen, so feige . In deren Wohnunghat es angefangen durch die Gardinen zu brennen. Rieds waren am längsten im Hause und haben Funken gelöscht, die in ihre Fenster flogen. In allen Wohnungen zugleich konnten sie ja auch nicht sein. Frau Zenker hat mit Marianne im Hausflur gesessen, niemand hat ihr geholfen. Marianne ist am nächsten Tag gestorben, sie war sowieso nur noch 95 % am Leben gewesen. Frau Börnert türmte zuerst mit ihrem Koffer auf Frau Bärs Handwagen. Die Pietschen "hat immer gerufen: " Meine Mama, meine Mama, Dein Lebenswerk verbrennt!" Dabei haben sie sich das Haus ja auch nur ergaunert in der Inflation. Tante Berlin und Tochter haben mit Gasmaske ohnmächtig in ihrer Ecke gekauert und waren auch unfähig zum Löschen, was mit lackierten Fingernägeln auch schlecht geht. Jedenfalls haben sich aber alle Hausbewohner nach dem ersten Angriff retten können, nur das Haus ist restlos heruntergebrannt. Die Treppen bis 3. Stock stehen noch und auch die Kellergewölbe haben gehalten, nur die Hausmanswohnung ist eingebrochen, weil keine Gewölbedecke. Frau Lütchens wer gerade in Oschatz bei ihrem Mann.

Wie Du siehst, habe ich meinen Füller gerettet und mangels Tinte mit Wasser aufgefüllt, ’ne Weile schreibt er noch. Nun will ich noch berichten, wie es mir ergangen ist. Ich hatte Dienst in der Kaserne, wo wir seit Februar ständigen Aufenthalt hatten. Nach der ersten Welle von ca 1100 Flugzeugen war die Kaserne nur von 2 Brandbomben getroffen. Ich schlug vor, mit 3 Mann nach der Gerokgarage zu gehen, (um zu sehen) ob es dort brannte, um evtl. zu löschen. Ich wollte natürlich sehen, wie es auf der Blasewitzer Str. aussieht. Ein neuer Leutnant ging mit. Aber Garage und Tankstelle brannten schon.

Es war kaum noch durch die Gerokstr. zu kommen. Köhler brannte schon im Parterre, dergl. Kirche und Pfarrhaus. Pfarrer Gottlieb saß an der Kirchhofsmauer Ecke Arnoldstr. Dann bin ich in unseren Keller, es war aber niemand mehr darin. Bin schnell noch nach oben, Korridortür war offen und ein Koffer stand da, nehme schnell noch Schreibmaschine und Kasa-Bilanzbuch vom Tisch, stecke Reißzeug, was daneben lag, in die Tasche. Es war finster und Sturm fegte durch die sämtlichen gebrochenen Scheiben. Ich hatte Befehl vom Leutnant, aber sofort zurück zu kommen, und so bin ich wieder aus dem Haus.

Vor dem Hause irrte Herr Mintzlaff herum und sagte, meine Leute wären nach der Lortzingstr. in einen Keller, aber er wüßte nicht, wo. Auf der Lortzingstr. brannte es noch nicht. Gerokstr. brannte zu sehr, konnte nicht durch und bin mit meinem Gepäck durch Arnoldstr. - Böhnischplatz- Feldherrnstr. zur Kaserne zurück. Es war inzwischen ein furchtbarer Feuersturm aufgekommen. Es war zum Ersticken, bin mit geschlossenen Augen an Häusern entlang von einer Haustür zur anderen getastet und darin Luft geschnappt. In der Kaserne kaum mein Gepäck im Schrankraum abgestellt, fielen Bomben und als ich herauskam, ist es wieder taghell von Christbäumen am Himmel. Also schnell in den Bunker. Hätte ich nur das Gepäck noch mitgenommen und meine Aktentasche aus dem Schrank. So ist alle verbrannt. Die Schlepperei war umsonst gewesen, wenn ich noch mehr gerettet und in unseren Keller (gebracht hätte), denn der ist erhalten geblieben, auch von Dir ein Koffer mit Wäsche. Ich weiß jetzt nur nicht, wohin damit. Unsere Kellertür ist verschlossen, ich habe meine Adresse daran geschrieben. Einige Kellertüren sind verbrannt. Es liegt trotzdem alles mit Koffern etc. darin, denn Plünderer werden sofort erschossen. In unserem Kohlekeller hat es gebrannt, auch in anderen, durch Papier, welches in die offenen Fenster geflogen ist.

Na, wie mans macht, ist es falsch, und wenn man alles verloren hat, als wenn man weniges hätte und wüßte nicht, wohin damit, wenn die Russen kommen. Der zweite Angriff war dann noch gründlicher, es sollen nochmal gegen 1500 Flugzeuge gewesen sein, die Dresden restlos fertig gemacht haben. Der ganze Feuerzauber, wie beim Untergang von Sodom und Gomorrha, hatte 1 1/2 Stunden gedauert. Nach dem 2. Angriff wurden wir aufgefordert, die Keller zu verlassen, weil die Kaserne schon im 1. Stock brannte. Wir mußten durch eine Treppe hoch, die im Wachtzimmer am Haupteingang mündete und dort hinaus an die Elbe. Im Hofe explodierten einige Lastwagen mit PZ-Fäusten, Handgranaten und Gewehrmunition.

Daß niemand von uns getroffen wurde, ist ein Wunder. An der Elbe war en solcher Sturm und Qualm von der Stadt her, daß man kaum Luft bekam, aber leichter Regen setzte ein und es stieß ab und zu frische Luft von oben herab. Eine Frau vom Ludendorf-Ufer, mit einem schweren 2jährigen Kind im Schlafanzug in eine Wolldecke gewickelt, klammerte sich an mich: „Retten Sie mein Kind, ich kann es nicht mehr tragen, ich bin schwanger!" Das Kind auf dem linken Arm, die Frau an der rechten, über den Kopf von uns eine Daunendecke, so sind wir durch die nassen Wiesen voll Trichter gestolpert, immer soweit, bis ich auch nicht mehr konnte. Dann haben wir uns hingesetzt, wo wir gerade waren. Ich hatte meinen Ledermantel an, so wurden wir von unten nicht naß. Ich dachte, hoffentlich ist jemand auch meinen Kindern so behilflich, wo ich ihnen nicht beistehen kan. Nach 2 Stunden, glaub ich, sind wir dann bei Molges gelandet, wo die Frau mit dem Kind, das sehr brav war, (sich) aufs Chaiselongue legen konnte. Es waren schon 12 Personen im Hause. Die Fenster und auch Wände waren kaputt. Christa war im RAD und ich habe mich in ihrem kl. Zimmer aufs Chaiselongue gelegt, denn ich war einigermaßen fertig mit dem Herzen. Nach einer Stunde kam noch Trutschs Bruder und Schwägerin von der Klostergasse. Der Vater der letzteren hatte auf der Strasse einen Herzschlag erlitten, sie mußten ihn liegen lassen. So konnten sie sich in Christas Bett bei mir im Zimmer legen. -- Nächsten morgen bin ich zur Liese und dachte, dort könnten meine 5 Leute hingegangen sein, aber auch am 16. hatten sie sich dort noch nicht gemeldet. Am 17. bekam ich einen Zettel von einem Major der Landgendarmerie Pirna, daß alle wohlbehalten in Pirna „Zur Tanne" wohnen, aber weiter wollen. - Will heute bei Seite 8 aufhören, meine Tinte wird alle. Bin augenblicklich als "Meldekopf" mit Motorrad in Riemsdorf bei Meißen, Strecke Wilsdruff. Habe nichts zu tun. Quartier beim Bauern. Erhole mich etwas, war letzte Tage krank, Mandelentzündung usw. - Fortsetzung Dresdener Erlebnisse folgt. Herzl. Grüße u. Küße, Dein Vati. Ps. In Dresden 4 Tage Leichen auf Lastwagen gefahren - - grauenhaft.