In der Video-Plattform YouTube, die es anno 2011 erst sechs Jahre gibt, erregten Ukulelen zunhemend Aufmerksamkeit, zunächst durch Virtuosen aus Hawaii, die deutlich machen, dass das Instrument mehr als Folklore und Klamauk ist. Ein bereits in den 1990ern verstorbener Hawaiianer wird mit seiner Version des Jazz-Klassikers „Somewhere over the Rainbow“ post mortem weltberühmt, die Tonaufnahme des Songs schaffte es in Deutschland damals auf Platz 1 der Charts und die deutschen Fernsehsender entdecken das Instrument ebenso. Minderwertige Ukulelen gab es inzwischen in jedem deutschen Musikladen, einige Jahre lang sogar bei Lidl und Aldi.
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Und so erhielt ich eines Tages eine Email des Fernsehsenders RTL, der für die Sendung „Das Supertalent“ Kandidaten sucht - man habe einige Youtube-Videos von mir gesehen und möchte gern, dass ich beim nächsten Casting dabei sei.
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Ich rufe die angegebene Telefonnummer an und oute mich mit meiner Frage, um was es bei der Sendung denn ginge, als jemand, der TV-medial auf der Rückseite des Mondes lebt. Aber die Frau am anderen Ende der Strippe klärte mich auf und versprach, Video-Links der Sendung nachzuschicken.
Die Videos sehe ich mir dann mit zurückhaltender Begeisterung an - Jongleure, Clowns, Musiker. Neben originellen Beiträgen gibt es da Nummern, die wirken eher nicht super-talentiert.
Ich folge weiteren Beiträgen der Sendung. Ein Mittvierziger, der auf einer einfachen Mundharmonika „Ave Maria“ spielt, hat den Wettbewerb vor einigen Jahren gewonnen. Aber das Lied lässt sich eigentlich nur auf einer chromatischen Harmonika korrekt spielen, sagt meine ältester Schüler, der auch ein versierter Harmonika-Spieler ist. Tatsächlich übertönt ein Hintergrund-Orchester mit Streichern und Querflöte die betreffenden Stellen so gekonnt, dass die Töne des Mundharmonika-Solisten an den fraglichen Stellen kaum herauszuhören waren.
Dem sympathischen Mann, dem das Schicksal einige harte Kanten durchs Leben geschnitten hatte, seien die unverhofften Erfolge gegönnt. Aber die Aufnahme im Video ist dennoch vermoschelt, wenn nicht von einem Studiomusiker eingespielt. Das Vibrato, das die Hand des vermeintlichen Supertalentes ohne Unterbrechung erzeugt, ist jedenfalls nicht zu hören - irgendwas stimmt da nicht.
100 Tausend Euro!
100 Tausend Euro! Das wäre im Leben eines Ukulele-Lehrers mal eine motivierende Abwechslung. Selbst als Zweit- und Drittplatzierter erreichte man nach solchen TV-Aufritten noch einen Bekanntheitsgrad, der dazu verhelfen kann, an ein paar anständig bezahlte Jobs zu kommen.
Ich erzähle meinen Schülern von der Anfrage des Fernsehsenders. Sie kennen die Sendung, sind begeistert, würden am liebsten mitkommen. Wahrscheinlich haben es die RTL-Scouts ohnehin eher auf die Kinder abgesehen - hübsche kleine Mädchen mit noch etwas Babyspeck an den Wangen und langen wehenden Haaren spielen Ukulele - wenn das Blickfang ist! Die Frau am Telefon sagte von vornherein, ich könnte gern auch die Kinder mitbringen, die man in meinen Videos an meiner Seite sähe. Ja, klar…
Der Casting-Termin fällt auf Christi Himmelfahrt - rein theoretisch wäre es den Kindern möglich gewesen, mitzukommen, ein schulfreier Feiertag. Aber dazu müsste ich die Eltern fragen, einen Kleinbus mieten, zwei Stunden Autobahn hin, zwei zurück - ich hätte den ganzen Tag lang die Verantwortung für ein Dutzend Kinder. Und am Ende picken sich die Fernsehfritzen das kesseste der Mädchen heraus oder befördern alle zusammen in die Sendung - außer ihren Fahrer, den Ukulele-Lehrer…
No Biss like Showbiz
Und dann auch noch alles auf eigene Rechnung, denn RTL spendiert noch nicht einmal die Reisekosten. Für mich allein könnte ich die Fahrt natürlich in Erwägung ziehen, quasi als Himmelfahrtsausflug? Mal wieder hinter die Kulissen des großen Showbiz schauen? Warum nicht! Dass da nicht alles ganz mit rechten Dingen zugeht, konnte ich bereits 1999 lernen, als ich gelegentlich einen Job als Komparse bei den Proben für eine Sat1-Familienshow hatte, genauer gesagt als Ton/Licht-Double.
Himmelfahrt und Sonnenschein
Der 2. Juni 2011 war ein herrlicher Sommertag, nicht zu warm, genau richtig für solch einen Ausflug. Gegen 11 treffe ich am Erfurter Kongresszentrum ein, wo das Casting stattfindet. Vor dem Eingang der Kongresshalle drängeln sich Leute, einige haben es wohl schon hinter sich. Ich lege meine Einladung vor, erhalte eine Nummer, die mir auf mein Hemd geklebt wird, und muss einen Zettel unterschreiben, dass ich der Vermakrtung sämtlicher Aufnahmen von mir zustimme. Im Inneren der Halle ist es laut, etwa so wie in einem Schwimmbad zur bestbesuchten Kinderzeit. Obgleich das offene Treppenhaus wohl 20 Meter in der Höhe misst, staut sich die verbrauchte Luft, die Hunderte von Kindern (und ihre Eltern) und deren Schuhe und Socken hinterlassen. Der Geruch erinnert mich an die Umkleideräume in einer Schulsporthalle.
Ich schnappe meine kleine Sony-Cam und will ein paar Impressionen von dem Gewühl einfangen - da kommt mir eine Frau von RTL vor die Linse, die den überwiegend kindlichen Kandidaten routiniert und wohl schon etwas abgenervt die Regeln erklärt. Als sie mich filmen sieht, belehrt sie mich umgehend, dass Filmen verboten sei. Ich erwidere: Wieso? Wir sind doch beim Fernsehen? Oder heißt das: RTL darf alles, alle anderen gar nichts? - Die Frau ist sprachlos über meine Frage. Und erklärt den anderen weiter, was sie alles nicht dürfen. Ich frage, wo ich mich umziehen kann. Die Toiletten seien im Keller, erwidert die Frau. Ich hatte aber nicht nach der Toilette gefragt!
Ich bringe die Frau völlig aus ihrer Routine - es sieht ganz so aus, als wenn ich der erste bin, der hier normale Fragen stellt. Immerhin steht auf der Einladung, dass man sich seine Bühnenkleidung mitbringen soll - da muss man sich ja auch irgendwo umziehen können. Nein, daran hat bei RTL offenbar niemand gedacht. Man muss sich also tatsächlich im Keller in einer Toilettenkabine umziehen, wenn man bei „DAS SUPERTALENT“ gecastet wird. Na, gut, nun bin ich einmal 250 Kilometer gefahren, habe drei Stunden im Auto gesessen, jetzt soll es daran nicht scheitern.
Raus an die frische Luft
Dann muss ich erstmal an die frische Luft. Nein, das ginge gar nicht, sagt der Türsteher - wer einmal raus sei, könne nicht wieder rein! Der Türsteher lässt mich nachher ohne besondere Umstände wieder ein Auf was habe ich mich nur eingelassen? Feldforschung? Egal, jetzt ziehe ich die Sache durch. Ich warte auf einer Bank vor dem Casting-Raum, der meiner Nummer entspricht. Ein vielleicht 12-jähriger Junge, ziemlich pummelig, spricht mich an, was ich denn vortragen würde: Ich spiele Ukulele und singe dazu, antworte ich ihm. Dann erklärt er mir seine Vorführung. Ich komme gerade noch dazu, ihm viel Glück zu wünschen, dann wird meine Nummer aufgerufen.
Schmunzelverbot?
Soweit ich mich erinnere, sitzen zwei Frauen in dem Raum. Ich spiele mein Lied übers Spielen der Ukulele - „und zwar jedes Mal an einer anderen Stelle“… Unter dem Bein, hinter dem Rücken, hinter dem Kopf - spätestens bei der Stelle im Liegen liegt auch das Publikum immer flach. Die beiden Casterinnen verziehen keinen Mundwinkel. Vielleicht dürfen sie nicht schmunzeln. Vielleicht haben sie Schmunzelverbot? Sie stellen noch zwei, drei Fragen, die entscheidende ist wohl: "Wie geht es Ihnen, wenn sie nicht in die Auswahl kommen?" - Dann geht mein Leben ganz normal weiter, antworte ich, was sonst. Die Casterinnen machen ihr Kreuzchen in ihrer Liste und bedanken sich für mein Kommen. Mir ist in diesem Moment klar, dass ich mit meiner Antwort jede Chance verspielt habe. Ich hätte sagen müssen: Dann nehme ich mir noch heute das Leben, vielleicht aber auch erst morgen.
Die Treppe hinunter zum Ausgang ist blockiert. Es ist kein Durchkommen, aber ich habe nicht die Absicht zu bleiben - mir bleibt nur der Aufzug. Aber da ist auch Gedrängel - ich muss warten, warten, warten. Dann fahre ich die eine Etage abwärts, fest zur Abfahrt entschlossen. Wäre ich entgegen meinem Gefühl in der Auswahl, würde man mir schon eine Nachricht zukommen lassen. Als ich den Lift verlasse, ist die Bekanntgabe bereits im Gange, mit dem üblichen Brimborium, mit großem Jubel bei den Erwählten, hoffnungsvollen Augen bei Anderen.
Ein alter Harung braucht Erfahrung
Für viele Kinder mag es der Wunsch nach Berühmtheit sein - Aufmerksamkeit, Zuwendung, Anerkennung. Oft sind vermutlich die Eltern der ehrgeizigste Teil des ganzen Rummels - no biz like showbiz.
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Was war mein Motiv, an diesem Rummel teilzunehmen? Ich gebe es zu: Geld! Ein großer Betrag von selbigen. Mehr Geld bringt mehr Freiheit - viel Geld viel Freiheit. Eine andere Art von Freiheit ist: Zur rechten Zeit die Kurve kriegen. Dazu hatte mich drinnen, mitten im Rummel des Geschehens, entschlossen und nun ist es Zeit, etwas aus dem Rest des herrlichen Himmelfahrtstages zu machen.
Sonstige Memoiren